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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Herrschenden ertrotzt worden, damit war der entscheidende Schritt getan. Alle fühlten, dass der Zusammenbruch des Regimes unmittelbar bevorstand, jetzt nur mehr in Stunden zu messen war.
    Alle „Kulissenreißer“ befanden sich unter der Menge der freudetrunkenen Menschen, die am Anfang dieser Geschichte agieren: mit Schluchzern Richlind, die ihr Taschentuch zog, um sich zu schnäuzen und hinterher geschwind die Augen zu trocknen; Gustav Patzke, dem es das Herz zerriss, sie so leiden zu sehen, und der Erdmann Jansen für die Ursache hielt und ihn für eine volle halbe Stunde genauso inbrünstig wie grundlos hasste.
    Armes Mädchen: Sie liebte diesen Erdmann Jansen immer noch, und er war so gemein zu ihr. In die Vorstadt ist er gezogen zu der jungen Frau mit der hübschen Figur und der hässlichen Nase! ... Und jetzt will er ihr auch noch ihre einzige Zuflucht nehmen, schöne klassische Rollen zu spielen: Das Gretchen, die Luise, die Viola, das Klärchen ... unter seiner Regie. Täve seufzte tief.
    „...aber bloß keine Klassiker mehr!“ hatte Erdmann auf dem Weg vorhin kategorisch erklärt, und es klang sonderbar nach dem großen Erfolg der Räuber -Inszenierung und erregte auch Befremden bei den Jungen und Bestürzung bei Richlind. Röte und Blässe wechselten auf ihrem hübschen Gesicht, und mit trockenen Lippen fragte sie: „Keine Klassiker? Obwohl wir so einen Riesenerfolg damit hatten?“  
    „Eben wegen des großen Erfolgs“, erwiderte Erdmann ungerührt. „Das war ein einmaliges Experiment, das wissen wir doch alle, und es muss auch ein Einzelfall bleiben. Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht; ein wahres Glück, dass die Leute von der Zeitung das auch so aufgefasst haben, sonst hätten sie uns nach Strich und Faden verrissen. Denn einer profunden Kritik hätte die Aufführung, trotz aller Mühe, die wir uns bei der Einstudierung gegeben haben, nie standgehalten. Und die Untugenden und Fehler dieses Dramas liegen doch für jeden allesamt offenkundig auf der Hand...“
    Bei Mama Patzke, die aus Neugier dem Durchbruch der Mauer und der neuen Zeit beiwohnte, schien jedoch nach dem ersten Schreck über die sich verändernde Lage eine andere Sorge die Oberhand zu gewinnen, ein untrügliches Zeichen, dass auch bei der Guten das Profane vor dem Idealen oder – um mit Brecht zu reden – erst das Fressen und hernach die Moral kam. Sie lamentierte, ob sie später noch auf ihre Witwenrente würde bauen können.
    Johannes hatte ebenso wenig Beziehung zur Vergangenheit, wie er sie zur Zukunft haben würde. Er gab sich dem wohlverdienten Zusammenbruch hin, wartete nur mit quälender Unstäte auf eine Nachricht von Patricia, die ihre endgültige Heimkehr ankündigte. Keine Nacht hatte er Ruhe gefunden, und bei Tag quälte ihn wieder die Migräne. Rastlos irrte er mit auf dem Marsch durch die Straßenschluchten, unvermittelt sich umwendend und ängstlich daran denkend, zu Hause vielleicht gerade ein Telegramm oder einen Anruf von Patricia versäumt zu haben. Als er zwischendurch nach Hause telefoniert, bittet ihn der alte Theobald durch die Muschel, umgehend nach Hause zu kommen, da eine dringende Nachricht für ihn avisiert wäre. Der Junge runzelt die Stirn; sein erster Gedanke ist: Natürlich, jetzt wird der Alte zurückkommen, der Vater, für den er nichts empfindet als Hass und Abscheu.
    Aber er reißt sich zusammen, als er die Stimme seines Vaters im Hintergrund vernimmt: „Wir sehen uns bald wieder!“ Und er verstand: „.... Bahnhof Zoo ...“
    Währenddessen warten in der Wohnung der Genossin Wagner-Gewecke vier Personen voller Ungeduld auf ihren Rechtsberater.
„Wann wollte Romboy denn hier sein?“ fragte Carmen Denikin.
    „Um zwanzig Uhr hatten wir uns verabredet“, entgegnete die Genossin, und an ihrem verzerrten Gesicht ist zu erkennen, dass auch ihre Nerven durch die Ungewissheit und die Unwägbarkeiten der letzten Tage recht gelitten haben.
    Uffo La Mettrie ist ununterbrochen damit beschäftigt, in einem Stapel Papiere und Geldscheine zu wühlen, sie zu zählen, in verschiedene Häufchen zu sortieren und jedes Stück mit einer Liste zu vergleichen. Der „Doktor“ hat sich bereit erklärt, vor seiner bevorstehenden Geschäftsreise in den Westen mit ihnen allen die günstigste Kapitalanlage im Valuta-Ausland zu besprechen. Dabei zittern Uffo La Mettries Hände vor Nervosität, und das Glasauge will an diesem Abend partout nicht im rechten Auge sitzen bleiben.
    Herr La Bruyère scheint von
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