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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Autoren: Norbert F. Schaaf
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über den Häusern und Gärtchen; die romantische, auch ein wenig zwielichtige Stimmung regte zum Träumen an. Sie hatten die letzte Bahn noch so gerade kriegen können; die Tante Claudinchen hatte sie zu Bier und Broiler eingeladen.
    Die muntere Schar gab sich aufgekratzt, der innere Motor schnurrte weiter, und der ungewohnte Alkoholgenuss zu ihrer verständlichen Euphorie löste die Zungen. Michaela aber wirkte ernst, ja zunehmend bedrückt, und auch Johannes war freilich weniger aufgeräumt, als man ihm ansah; er hielt sich wortkarg, hörte lediglich zu, um nur gelegentlich eine Bemerkung dazwischenzustreuen – ihn trieb die Sehnsucht, mit sich allein zu sein. Sein heutiger Erfolg hatte ihn eigenartig kaltgelassen. Nachdem er das Kostüm abgelegt hatte und in seinen Alltagsanzug geschlüpft war, schien der Premierentriumph bereits unendlich weit hinter ihm zu liegen. In Gegensatz zu seinen zwei Freunden, die noch gar nicht darüber hinwegkamen, dass ihnen solch ein Glückswurf gelingen durfte; und der kleine Willi – sonst so wortkarg und versonnen – war heute der redelustigere von beiden.
    Johannes aber dachte fortwährend an Patricia; in der Szene mit Amalia hatte er sie neben sich gesehen, sich einbildend, mit den Worten des Leipziger-Karl zu ihr zu sprechen, und wenn er während des Spiels unwillkürlich mit dem Arm seine Brust berührte, raschelte das Telegramm in der Innentasche, ihm scheinbar zuwispernd: `Von immer deiner Patsy...´  
    Als der kleine Willi endlich den Weg ins Bett gefunden hatte, lag er noch eine ganze Weile wach; ihm ging – Szene für Szene – sein Spiegelberg -Auftritt noch einmal durch den Kopf, bis ihn über dem fünften oder sechsten Bild die Müdigkeit übermannte.  
    Als Gustav die Augen schloss, sah er vor seinem inwendigen Auge Michaelas wiegenden Gang; seitdem der polnische Mephisto außer Sichtweite war, flammte seine Verliebtheit wieder auf. Sie war so blass gewesen und ernst, hatte sich einsilbig nur mit den Mädchen am Tisch unterhalten und ihm selbst bloß knapp gratuliert, nicht anders als Willi und Johannes nach der Vorstellung. Richlind hingegen hatte sich betont herzlich gegeben; sie tat ihm leid, da immer noch eine unterschwellige Spannung zwischen ihr und Erdmann Jansen zu spüren war. Der Spielleiter hatte ihn gelobt mit einem „Ganz patent, Täve“ – ob er das lediglich unter dem Eindruck des Premierenerfolgs so dahin gesagt hatte? Freilich hatte er erstmals die Kurzform seines Vornamens gewählt, den sonst nur die Jungens benutzten...
    Als er endlich eingeschlafen war; überkam ihn zum ersten Mal der berüchtigte Schauspieleralptraum, der kaum einem Darsteller erspart bleibt: Himmel, gleich kommt mein Auftritt, aber ich weiß kein Wort! ... Wo hab ich bloß das Buch? ... Ich krieg das verdammte Kostüm nicht zu, da fehlt doch was! Wenn mir nur jemand sein Textbuch ausleihen tät! ... Was soll ich nur sagen, wenn ich draußen steh? Und dann sieht er sich gehen, lahm wie eine Schildkröte, jede Bewegung in Zeitlupe, doch um so rasender verfolgt ihn die Angst! Als er endlich ein Textbuch hat, sind die Seiten seiner Rolle – und nur die! – nicht aufzufinden, dabei rückt sein Auftritt immer näher ... nur noch Minuten ... bald nur mehr Sekunden ... Er steht im Rampenlicht und stammelt irgendwas ... Das Publikum wird unruhig ... die Souffleuse kriecht halb aus dem Muschelkasten, er sieht, wie sie mit bizarr verzerrten Mundbewegungen den Text ihm vorsagt ... jedoch kann er keine Silbe verstehen ... der Schweiß rinnt ihm über Stirn und Wangen, er spürt, wie die Maske heruntertrieft ... plötzlich erscheint der Regisseur auf der Bühne, mit wutentbrannter Fratze, er wirft das Textbuch nach ihm und schreit ihn an dabei ... aber er selbst kann doch nichts hören, sieht nur den aufgerissenen Mund – und ist sich doch genau bewusst, was man ihm zuruft: „Mach `nen Abgang vom Theater, wenn du nicht einmal das schaffst!“
    Schweißgebadet fuhr Gustav auf, auf den Lippen ein verzweifelt geschrienes „Nein!“
     
    Der Regisseur hatte alles in den Griff bekommen: die vielfach überhitzte Sprache des empörerischen Dramas genauso wie die sich überschlagenden Rodomontaden der Hauptpersonen, und besonders gelungen erschien ihm die Kontrastierung der Figuren, durch die die Guten durch die Bösen schattiert wurden. Und wie innig saugten die Zuschauer das Gefühl in sich auf, als sie vernahmen: „Jetzt sind wir frei!“ Jubelnd fielen alle in den Ruf der Räuber
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