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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Autoren: Norbert F. Schaaf
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ließ. Dabei hellte sich seine sonst so bärbeißige Miene zusehends auf. Dem Spielleiter zunickend, musste er sich vernehmlich räuspern, was nach tagelangen Sprechübungen wie der Forteeinsatz einer Bassgeige klang, bevor er mit zusammengeraffter direktoraler Würde verkündete: „Da ... ehem, da fühlen wir uns aber ausnehmend geehrt, die Herrschaften, und selbstredend lässt sich ihr Begehr einrichten; Herr Jansen wird so freundlich sein und alle Einzelheiten mit Ihnen regulieren, nicht wahr?“
    „Okay, Sie sind der Boss. Gehen Sie nur schon hinüber in die Schützenstube, wir werden uns schon einig, wir vier!“
    Sichtlich erleichtert erhob sich der alte Hüne und erging sich – sich von seinen Besuchern verabschiedend – in ganz undirektoralen Dankesbekundungen, indem er allen herzhaft auf die Schultern klopfte und jeden anqualsterte, wenn er seinen „tausendfachen Dank“ in feuchter Aussprache ausdrückte.
    „Es war doch ein wenig viel für den alten Herrn in den letzten Tagen“, erläuterte Erdmann Jansen und nahm nun hinter dem schmalen Pult Platz, das als Schreibtischersatz diente.
„Er geht auf Mitte siebzig, und die täglichen Sorgen und Probleme der vergangenen Jahre, ja Jahrzehnte, die so eine Zigeunertruppe, wie wir das sind, mit sich bringt, können Sie
    sich als Außenstehende überhaupt nicht vorstellen. Unsere Technik ist hoffnungslos veraltet, eigentlich nicht verwendungsfähig, so dass an Filmemachen im Moment gar nicht zu denken ist. Dazu die Abgänge gen Westen, die uns immer wieder wie aus heiterem Himmel getroffen haben, so dass wir schon manch Vorhaben einfach von heute auf morgen haben einstellen müssen. Gerade jetzt haben sie uns wieder einen weggenommen, zur Fahne diesmal, als ob...“
    „Wie lange werden Sie denn jetzt hier...?“ fragte der große Willi interessiert dazwischen, und auch die anderen blickten den Spielleiter forschend an.
    Erdmann Jansen zuckte die Schultern. „Keine Ahnung, was uns die Zukunft bringen wird. Bis Ende des Jahres bestimmt und dann das nächste... Sehen Sie, wir haben uns jetzt vier Jahrzehnte in Geduld geübt, da können wir...“
    „Wir haben gestaunt“, mischte sich nun Ludolf Friesel unterbrechend ins Gespräch, „was Sie aus den jungen Leuten rausgeholt haben!“ Seine hellen Augen trafen sich mit denen des Schauspielers. „Ick bin ja nur Dilettant, wenn ick det ma so lax saren darf, aber ick stelle mir vor, det die Sprache von de... – wie soll ick saren? – von de Chose...“
    „Des Dramas?“ half Erdmann Jansen lächelnd aus.
    „Janz recht: det die Sprache von det Drama...‚ also det... Wie soll ick mir bloß ausdrückn?“
    „Sie meinen das Pathos?“
    „Jenau det! Ick könntet ooch nich besser saren: Wenn also dieset Pa...‚ wenn also der Karl aus Leipzig – jut, detter nich sächselt wie een Pavian! –‚ wenn der Kalle zum Beispiel saren muss: `O ewiges Chaos!´ oda rufn: `Höre mich, dreimal, schrecklicher Gott!´, un det sin nur jerade man zwee Stelln, die mir uff Anhieb einfalln, da hab ick mir beim Lesen jesacht: Det kann ja heutzutaje keen Mensch mehr über de Lippn bringn, un trotz alledem muss ick jestehn...“ Er suchte vergeblich nach den geeigneten Worten, seinen überwältigten Gefühlen Ausdruck zu verleihen.  
    „Sie haben ganz recht“, sagte Erdmann Jansen lächelnd und nickte, „deswegen ist in teutonischen Landen, seit jeher geprägt von der Tugend enormer politischer Wendigkeit, auch kaum an einem Klassiker so viel herumexperimentiert worden wie an den Räubern . Ich hab da vor Jahren mal im zweiten TV-Programm – andere Fakultät – eine Inszenierung gesehen, in der ich beinahe eingeschlafen wäre.“  
    „Nicht möglich!“ entfuhr es Janine, und auch die beiden anderen schauten ungläubig.
    „Doch, der Regisseur des Szenariums – ein Professor, also mit Pensionsberechtigung – hatte alle diese stringenten...‚ emphatischen...“ Er suchte nach einem geeigneten Wort seiner Muttersprache.
    „...eindringlichen Exklamationen...“, half ihm Janine.
    „Danke. ...alle eindringlichen Ausrufe radikal ausgemerzt und das Stück ganz naturalistisch spielen lassen und...“
    „Sie meinen, wie einen Gerhart Hauptmann“, unterbrach der große Willi, „etwa den Fuhrmann Henschel mit seinen Halbzeiten im Dialog...“  
    „Ja, genau. Da war natürlich aus der Flamme der Empörung eine traurige Funzel geworden. In der hervorragenden Kritik über das verhunzte Stück hatte es in dem Blatt mit den
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