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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Autoren: Norbert F. Schaaf
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klugsch...einenden Kopf dahinter geheißen, es zeichne sich durch dankenswerte Ausgewogenheit genauso aus wie durch notwendige Distanziertheit, wobei es einen zu engagiert und beteiligt gefärbten Sprachton wohltuend vermeide. Da vertrete ich ja die knallharte Auffassung, dass man dann das Drama in drei Teufels Namen lieber gar nicht erst aufführen soll.“
    Die Besucher hörten seinen Ausführungen interessiert zu, und es war wieder Ludolf Friesel, der eine fruchtbare Auseinandersetzung witterte. Er fuhr sich mit seinem Fingerkamm durch die Haarsträhnen und erwiderte, indem er hochdeutsch zu beginnen sich mühte: „Tja, wir alle dreie waren so richtig mitgerissen von dem revol..., pardon, von dem gegenwartsnahen, zukunftsweisenden Elan von det Stück, det ma dabei total vajisst, wie sich beim Leipzijer-Kalle eijentlich aus janz privatem Anlass diese Anklaje jejen det dazumal herrschende System herausjebildet hat...“  
    Hier nickte nun auch der große Willi und lächelte. Erdmann Jansen aber freute sich über die Beflissenheit, mit dem dieser junge Mensch an die Problematik des Dramas heranging.
    „Natürlich hab´ ich den Jungens allerhand wegstreichen müssen, was ich bei Profischauspielern unbedingt beibehalten hätte; aber ich bin froh, dass Ihnen das Stück trotzdem zugesagt hat.“
    Sie kamen noch auf die Leistungen einzelner zu sprechen; als Erdmann Jansen sich in seiner Kritik auch besonders anerkennend über die Zusammenarbeit mit dem kleinen Willi und seine überzeugende Verkörperung des Spiegelberg äußerte, entlockte er Janine damit nur die nüchterne Bemerkung: „Ja, Mühe hat er sich gegeben“, was der Spielleiter unwidersprochen hinnehmen musste, da die Frau – mit Rücksicht auf die späte Stunde – auf den ursprünglichen Anlass ihrer Unterredung zurückkam.  
    „Sie müssen schon entschuldigen, Herr Jansen, dass ich die interessante Unterhaltung unterbreche, aber es ist schon, wie ich grad sehe, Mitternacht vorbei, und morgen haben wir allemann Frühschicht...“
    Sie vereinbarten für zwei Brigaden zunächst je eine Vorstellung, um die Resonanz bei den Leuten abzuwarten. Vielleicht bedeutete es ja den Beginn eines engeren Kontaktes zu einem anderen als dem vom FDGB gestellten, parteibeherrschten Publikum, das sich aus eigener Sicht mit den Inhalten des Stückes sowie den allgemeinen Problemen des Alltags auseinandersetzte.
    Die drei waren Erdmann Jansen vom ersten Moment ihrer Begegnung an sympathisch; jeder auf seine Art. Diese Frau Widulle machte den Eindruck einer mit beiden Beinen auf der Erde stehenden, klar denkenden und intelligenten Bürgerin, die, als er ihr zu ihrem Jungen gratulierte, wenig Aufhebens davon machte und eine gute Leistung von ihrem Sprössling als ganz natürlich zu empfinden schien; wenn sie aber selbst einen Anflug von Mutterstolz hinter ihrer nüchternen Art verbergen wollte, so war ihr das vollauf gelungen. Jedenfalls empfand Erdmann Jansen es als ungemein angenehm, wenn er hingegen an den Überschwang manch anderer Mütter dachte, denen kindische Freudensprünge und rührselige Entzückenstränen aus narzisstischem Wohlgefallen an ihrem Nachwuchs keinesfalls peinlich waren. Von welchem Standpunkt auch immer, er verstand das nicht, so sehr er sich mühte; zuträglich für Jugendliche hielt er allein moderates, sachbegründetes Lob oder aber entsprechende Kritik mit einem Touch fühlbarer Emotion.
    Auch die beiden Männer, die er der Opposition zum Regime zurechnete, gefielen ihm: Janines Mann, dieser grauhaarige Rübezahl, hielt sich zurück und war nicht redselig; aber er war immer ganz Ohr und wache Gescheitheit, kein Wort, und was es bedeutete, entging ihm, und wenn er eine Bemerkung machte, sprach soviel Lebenserfahrung daraus wie gesunder Menschenverstand. Wie munter gab sich dagegen dieser Ludolf Friesel mit dem Strubbelkopf; nomen est omen: ein kräftiges, untersetztes, wieselflinkes Kerlchen, dessen Augen einen festnagelten, und man müsste sich einmal länger mit ihm auseinandersetzen, um eine Ahnung davon zu bekommen, was hinter seiner Stirn vor sich ging; nun, vielleicht würde sich ja demnächst schon Gelegenheit dafür bieten.
    „Ich könnte das Ganze gleich noch einmal spielen!“ meinte Gustav, als er mit Johannes und Willi hinter Michaela Schumann, in die sich seine Schwester und Ingrid eingehakt hatten, bei der Endstation der Straßenbahn ausstieg. Der Halbmond wachte über Rahnsdorf, und trotz der relativen Helligkeit lag leichter Dunst
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