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Der Tod des Teemeisters

Der Tod des Teemeisters

Titel: Der Tod des Teemeisters
Autoren: Yasoushi Inoue
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ERSTES KAPITEL
    »He, Ihr da, vom Tempel Mii-dera! He, Mii-dera!« rief mir jemand nach.
    Ich beschloß zu tun, als hätte ich nichts gehört, und ging einfach weiter. Der Mann hatte zwar ganz deutlich den Namen meines Tempels Mii-dera gerufen, aber meinen schien er vergessen zu haben. Als er abermals rief, beschleunigte ich meine Schritte.
    Erstaunlicherweise schritt der Rufer ungeachtet seiner altersbrüchigen Stimme so zügig aus, daß er mich binnen kurzem eingeholt hatte.
    »Ihr seid doch Bruder Honkaku vom Mii-dera?«
    Nun gab es kein Entrinnen mehr. Ich blieb stehen und erkannte Herrn Tōyōbō, den ich seit sechs Jahren nicht gesehen hatte. Ein starkes Gefühl von Wehmut ergriff mich. Er muß inzwischen dreiundachtzig sein, aber man sieht ihm sein Alter nicht an. Er ist noch ganz der alte Tōyōbō und hat sich seit den Tagen Meister Rikyūs überhaupt nicht verändert.
    »Kommt mit!«
    Dieser Aufforderung konnte ich nicht widerstehen.
    Ich hatte mir nach all den Jahren, in denen ich nicht dort war, ohnehin wieder einmal das bunte Herbstlaub im Tempel Shinnyodo ansehen wollen und war gerade dabei gewesen, durch das Haupttor zu schlendern.
    Es war um die Stunde des Widders 1 , als ich in seinem
    Teezimmer Platz nahm, und ich blieb, bis die Pflanzenim Garten schon mit der Dunkelheit verschmolzen. Es war so angenehm dort, daß ich die Zeit vergaß und der Nachmittag mir wie im Fluge verging.
    Ich bin schon einmal in diesem Raum gewesen. Als Meister Rikyū noch lebte, ging ich ihm dort bei einer Teezeremonie zur Hand. Seit damals hat sich nichts verändert: die Kalligraphie des Prinzen Son-En-Po an der Wand, die Tenmoku-Teeschale aus Ise, das unablässig knisternde und zischende Kohlebecken, das an das Säuseln von Kiefern im Wind erinnert und auf das er so stolz ist. Der Raum entsprach ganz dem Geschmack des ehrwürdigen Herrn Tōyōbō, der als Wabisukisha – ein Liebhaber schlichter Strenge – bekannt ist. Er bewirtete mich nach allen Regeln der Teekunst, und ich wähnte mich wie in einem Traum.
    Anschließend holte er eine Teeschale hervor, die Meister Rikyū ihm geschenkt hatte, und stellte sie vor mich hin. Ich war voller Dankbarkeit und fühlte mich von der aufrichtigen, herzlichen Fürsorge des alten Herrn geehrt. Beinahe hatte ich das Gefühl, meinem Meister gegenüber zu sitzen. Wie viele Jahre hatte ich diese ebenmäßige, schwarzglasierte Teeschale mit dem leicht nach innen abgerundeten Rand, so unsagbar schön und elegant, nicht gesehen!
    Chōjirō hat sie geschaffen, und für mich sind viele Erinnerungen mit dieser schwarzen Schale verknüpft. Es macht mich froh, daß sie sich nun in der Obhut des ehrwürdigen Tōyōbō befindet.
    Es war bereits stockfinster, als ich den Teeraum des Shinnyodo verließ und mich auf den Heimweg in meine Klause machte, wo ich unser Gespräch noch einmal an mir vorüberziehenließ und mich einsamen Grübeleien hingab. Es gab Dinge, die ich Herrn Tōyōbō hätte sagen sollen, aber nicht gesagt hatte, und Fragen, die ich ihm hätte stellen sollen, indes versäumt hatte zu stellen. Ebenso hatte ich Antworten gegeben, die vielleicht anders hätten lauten sollen. Zweifel plagten mich, warum ich dies und nicht jenes gesagt hatte. Aber natürlich hatte mich nach all den Jahren die erste Begegnung mit einem alten Freund Meister Rikyūs so aufgewühlt, daß in meinem Kopf Tausende von Wörtern in heillosem Durcheinander herumwirbelten.
    »Ihr seid noch jung, warum zieht Ihr Euch so zurück?« hat Herr Tōyōbō mich gefragt. »Wenn man wie Ihr den Weg des Tees eingeschlagen hat, sollte man auch dafür einstehen.«
    Natürlich hat er recht, auch wenn ich bereits Mitte vierzig und damit eigentlich nicht mehr als jung zu bezeichnen bin. Doch auf seine Frage, warum ich so zurückgezogen lebe, konnte ich ihm keine Antwort geben. Es gibt keine richtige Begründung dafür, daß ich nach Rikyūs Hinscheiden der Welt des Tees entsagt habe. Doch als Mann von unwürdiger Herkunft kann ich ohnehin nicht hoffen, meinem Meister nachzufolgen.
    Aufgewachsen bin ich in einem dem Mii-dera angeschlossenen Nebentempel. Mit einunddreißig Jahren wurde ich als Teegehilfe in Meister Rikyūs Dienste geschickt und gelangte so in den Genuß, von ihm in der Kunst der Teezeremonie unterwiesen zu werden. Als mein Meister den Befehl erhielt, sich zu töten, war ich erst vierzig und – wenngleich von ihm persönlich im Teeweg unterrichtet – weit davon entfernt, mich einen Chajin, einen »Teemenschen«,
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