Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Autoren: Norbert F. Schaaf
Vom Netzwerk:
Und bespuckt hat er mich auch, wie es der Brauch ist seit unerdenklichen Zeiten... Komisch, heut´ bin ich so gar nicht aufgeregt wie auf den letzten Proben; da stimmt es also doch, das mit dem Energiestrom, wenn man überm Kopf die Fingerspitzen anein... „Schändlicher, dreimal schändlicher Karl!“ ruft oben auf der Szene Franz – jetzt halb dem Publikum zugekehrt – mit einem Schluchzen in der Kehle. Super, wie er das hinkriegt! So müsste man seine Stimme kontrollieren können. Und rasch rekapituliert er nochmals flüsternd seinen Text, da oben schon der Schlussmonolog des Franz Moor begonnen hat, sich das erste Bild dem Abschluss neigt; hernach kommt dann der Umbau zu der Schenke .
Johannes steht neben ihm: „Toi, toi, toi!“  
    Gustav erwidert das zünftige Ritual über die linke Schulter. Überall wird nun bespuckt und beschworen und der Spruch dazu gewispert. Es beruhigt entschieden, denkt Gustav. Die anderen Kameraden erleben das wohl nur bei diesem einen Stück, ich aber, ich erfahre es bestimmt mein ganzes Leben lang!
    „Herr muss ich sein, dass ich das mit Gewalt ertrotze, wozu mir die Liebenswürdigkeit gebricht!“ Womit Franz – „die Kanaille“ – jetzt keinen Zweifel mehr lässt an seinen liebenswürdigen Absichten.  
    Der Vorhang fällt; wie Blei, wie es vom Spielleiter angeordnet war. Das Publikum verhält sich mucksmäuschenstill, und das ist ein gutes Omen. Die Zuschauer sind ergriffen, spürt Gustav. Unterdessen werden mit Hilfe von einigen Schuljungen schnell und geräuschlos Pappmachéwände der Schenke aufgestellt und mit den bereits daran befestigten Streben am Bühnenboden verankert, fertig! Mit zwei lautlosen Schritten sind Johannes und Willi am Tisch und sitzen beim Wein, als säßen sie schon stundenlang dort beisammen.
    Gustav läuft sich – heftig atmend – in der Garderobe in Form. Sein Stichwort! Er springt die Stufen hinauf und reißt die Türe auf. „Wisst ihr auch, dass man uns auskundschaftet?“ stößt er atemlos hervor. Und neben ihm hebt Grimm schon an: „Dass wir keinen Augenblick...“, als der nicht unerwartet einfallende Szenenapplaus ihn unterbricht und erst nach etlichen Sekunden erneut ansetzen lässt: „Dass wir keinen Augenblick sicher sind, ausgehoben zu werden!“ Was wiederum frenetisch beklatscht wird.  
    Unten im Auditorium hat Kerstin beim Auftritt des Bruders vor Aufregung Ingrids Hand gepackt und gedrückt, ebenso wie sie es vorher am Anfang des Bildes getan hatte, als sie Willi als Spiegelberg neben Karl Moor am Tisch sitzen sah.  
    Das Publikum beklatschte die Leistungen der Schauspieler genauso frenetisch wie die aktuellen Inhalte des Dramas. So gab es lang anhaltenden Beifall nicht nur nach jedem Bildschluss, sondern Szenenapplaus immer dann, wenn – direkt oder assoziativ – Bezug genommen wurde auf die Realitäten, in denen die Menschen lebten, handelten, litten. Als die Böhmerwaldszene begann, gab es noch eine zusätzliche wirkungsvolle Geräuschkulisse, die nun nicht vorhersehbar gewesen war: Das Unwetter war vollends aufgezogen, es donnerte und blitzte, dass es nur so eine Pracht war; heftiger Gewitterregen mit taubeneigroßen Hagelkörnern prasselte auf das teergetränkte Flachdach des Kulturhaussaales. Spiegelberg und Razmann auf der Szene hatten Mühe, sich auch nur einigermaßen verständlich zu machen. Bei dem folgenden Roller -Auftritt brüllten alle mühelos über das Gewitter hinweg; als jedoch Roller mit seiner Galgenerzählung anhob, konnte er wieder flüstern, da der Sturzregen – wie auf ein Kommando des Inspizienten – jäh abbrach, und nur auf dem Hof an einer Gebäudeecke der Inhalt der Dachrinne in den Abflusskanal plätscherte.  
    „Jetzt sind wir frei!“
    Alle fielen sie in den Ruf ihres Hauptmanns ein: die sehnsuchtsvollen Menschen im Publikum zusammen mit den Darstellern auf der Bühne. Allein der Mangel an schauspielerischem Können musste bei manchem durch Begeisterung und Kraft der Stimmbänder ersetzt werden, doch insgesamt war die Aufführung ein voller Erfolg, schon weil das Publikum selbst mitreißend war. In ihrem Enthusiasmus steckten sich Auditorium und Ensemble wechselseitig an, und schon der erste Akt gipfelte in nicht enden wollendem Applaus unter den unablässigen Verbeugungen der Darsteller vor ihrem Publikum. Etliche Male musste Onkel Glaubrecht als Pater in seiner braunen Kutte den Vorhang hochkurbeln, bis Erdmann Jansen beisprang: „Komm, Onkel Glaubrecht, mach halblang, entspann
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher