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40 - Im fernen Westen

40 - Im fernen Westen

Titel: 40 - Im fernen Westen
Autoren: Karl May
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Old Firehand
    „Mein Frühling ging zur Rüste,
Ich weiß gar wohl warum:
Die Lippe, die mich küßte,
Ist worden kühl und stumm.“
    So klang es über die weite Ebene hin, und Swallow, mein wackerer Mustang, spitzte die kleinen Ohren, schnaubte freudig durch die Nüstern und hob graziös die feinen Hufe wie zum Menuett.
    Warum grad dieses Lied, welches ich zuletzt vor drei Monaten in Cincinnati von einer Tiroler Gesellschaft gehört hatte, mir über die Lippen tönte, ich weiß es nicht. Noch hatte mich kein Mund geküßt, und mein Frühling konnte also wohl beginnen, doch beileibe nicht schon zu Ende sein, aber das Leben war mir bisher nichts gewesen als ein Kampf mit Hindernissen und Schwierigkeiten, ich war einsam und allein meinen Weg gegangen, unbeachtet, unverstanden und ungeliebt, und bei dieser Abgeschiedenheit hatte sich eine Art Weltschmerz in mir entwickelt, zu welchem der klagende Inhalt dieser Strophen recht gut paßte.
    Schon neigte sich die Sonne demjenigen Teil der Rocky-Mountains, welcher die Grenze zwischen Nebraska und Oregon bildet, zu, und noch immer ließ sich keine Senkung der mit gelbblühenden Helianthus übersäten Ebene wahrnehmen. Das Pferd bedurfte der Ruhe; ich selbst war müde, und so sehnte ich mich je länger desto mehr nach New Venango, wo ich mich von langer Wanderung einmal einen ganzen Tag lang gehörig ausruhen und die ziemlich alle gewordene Munition wieder ergänzen wollte.
    Plötzlich hob Swallow das Köpfchen seitwärts und stieß den dampfenden Atem mit jenem eigentümlichen Laut aus, durch welchen das echte Präriepferd das Nahen eines lebenden Wesens signalisiert. Mit einem leisen Ruck war es zum Stehen gebracht, und ich wandte mich auf seinem Rücken, um den Horizont abzusuchen.
    Da, seitwärts von meinem Standort, nahte ein Reiter, welcher grad auf mich zuhielt und sein Pferd weit ausgreifen ließ, und da die Entfernung zu groß war, um genau unterscheiden zu können, so griff ich zum Fernrohr und gewahrte zu meiner nicht geringen Verwunderung, daß dieser Reiter nicht ein Mann, sondern ein Frauenzimmer sei.
    „Alle Teufel, eine Dame, hier im ‚far West‘, mitten in der Prärie, und gar mit Reitkleid und wehendem Schleier!“ fuhr es mir über die Lippen, und erwartungsvoll schob ich Revolver und Bowiemesser, welche ich vorsichtig gelockert hatte, wieder zurück. „Oder ist's gar der ‚flats ghost‘, der Geist der Ebene, welcher auf feurigem Roß über die Woodlands fliegen soll, um die weißen Menschen von den Jagdgründen ihrer ‚roten Brüder‘ zu vertreiben!“
    Mit einigem Bedenken musterte ich meinen äußeren Adam, welcher mir allerdings nicht sehr courfähig erschien. Die Mokassins waren mit der Zeit höchst offenherzig geworden; die Leggins glänzten, da ich sie bei der Tafel als Serviette zu gebrauchen pflegte, vor Fett; das sackähnliche, lederne Jagdhemd verlieh mir den würdevollen Anstand einer von Wind und Wetter malträtierten Krautscheuche, und die Bibermütze, welche mein Haupt bedeckte, hatte einen guten Teil ihrer Haare verloren und schien zu ihrem Nachteil mit den verschiedenen Lagerfeuern intime Bekanntschaft gepflogen zu haben.
    Aber ich befand mich ja nicht im Parkett eines Opernhauses, sondern zwischen den Black-Hills und dem Felsengebirge und hatte auch gar keine Zeit, mich zu ärgern, denn noch war ich mit meiner Selbstinspektion nicht fertig, so hielt die Reiterin schon vor mir, hob den Griff ihrer Reitpeitsche grüßend in die Höhe und rief mit tiefer, reiner und sonorer Stimme:
    „Good day, Sir! Was wollt Ihr finden, daß Ihr so an Euch herumsucht?“
    „Your servant, Mistreß! Ich knöpfte mein Panzerhemd zu, um unter dem forschenden Blick Eures schönen Auges nicht etwa Schaden zu leiden.“
    „So darf man Euch wohl nicht ansehen?“
    „Doch, doch, wenn mir die Erlaubnis zur Gegenbetrachtung wird.“
    „Die sollt Ihr haben.“
    „Danke; so wollen wir uns denn einmal nach Herzenslust begucken, wobei ich natürlich besser wegkomme als Ihr.“ Und meinen Mustang auf den Hinterbeinen herumdrehend, setzte ich hinzu: „So, da habt Ihr mich von allen Seiten, zu Pferde und in Lebensgröße! Wie gefalle ich Euch?“
    „Wartet ein wenig und seht auch mich erst an!“ erwiderte sie lachend, zog ihre Stute vorn in die Höhe und präsentierte sich durch eine kühne Wendung in derselben Weise, wie ich es getan hatte. „Jetzt ist die Vorstellung eine vollständige, und nun sagt erst Ihr, wie ich Euch gefalle.“
    „Hm, nicht übel,
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