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Wind Der Zeiten

Wind Der Zeiten

Titel: Wind Der Zeiten
Autoren: Jeanine Krock
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Prolog
    November 1746
     
     
     
    D er Krieger lehnte sich gegen den Wind und zog das Plaid fester um die Schultern. Nicht die Kälte ließ ihn frösteln, als er mit zusammengekniffenen Augen über Gleann Grianach blickte. Einst hatte er den Namen dieses Tals mit Stolz getragen, doch das war lange bevor der Krieg zum letzten Mal seine tödlichen Tentakel bis hoch in den Norden Schottlands ausgestreckt und seine Heimat zerstört hatte. Jetzt ragte der alte Turm von Castle Grianach wie ein mahnender Finger in den bleiernen Winterhimmel, sein ehemaliges Zuhause war unbewohnbar. Er vermisste den typischen Geruch der Torffeuer, und die schwarzen Ruinen vieler Gehöfte ließen dem Mann das Herz schwer werden. Es war alles seine Schuld.
    Er hätte wissen müssen, dass sein Stiefbruder den Clan für ein freies Schottland in die Schlacht führen würde, hätte dem glühenden Jakobiten niemals die Verantwortung als Chieftain übertragen dürfen. Doch zuallererst hätte er an jenem Johannistag vor achtzehn Jahren nicht versuchen dürfen, den Held zu spielen. Ein bitteres Lachen kam über seine Lippen, wo es sofort in der eisigen Luft gefror. Er kannte sich aus mit Helden und mit dem Krieg. Als Söldner hatte er in Culloden unzähligen braven Schotten den Tod gebracht. Das Einzige, was er für seine Landsleute getan hatte, war, ihnen ein schnelles
Ende zu bereiten, statt sie verkrüppelt und sterbend den Krähen und Plünderern zu überlassen.
    Ein letzter Blick über das Tal, ein stiller Abschied. Er wandte sich zum Gehen, als ein Schrei die Luft zerriss. Krähen flogen auf, und ein Eichelhäher floh schimpfend. Das war einer dieser Laute, die ihm nachts bis in seine Träume folgten, ein Echo der schmerzgequälten Rufe auf dem Schlachtfeld, das Klagen und Wimmern der Frauen, denen er die Nachricht vom Tod ihrer Brüder, Männer, Söhne überbrachte. Wie oft hatte er sich gewünscht, selbst zu fallen, dem Martyrium endlich ein Ende zu machen. Doch stets hatten diese unseligen Feen ihre schützenden Hände über ihn gehalten.
    Ist es noch nicht genug? , fragte der Krieger lautlos, als ein weiterer Schrei ertönte. Mit dem Schicksal würde er später hadern. Er rannte den Hügel hinab, durch immer dichter werdendes Buschwerk, hinunter zum Bach.
    Drei englische Soldaten. Sie pressten seinen jüngsten Bruder auf den Boden. Einer von ihnen hielt den Dolch wie eine Trophäe in die Höhe, Mordlust entstellte sein Gesicht. Er war tot, bevor er den Arm zum fatalen Stoß senken konnte. Von einem Faustschlag getroffen, taumelte der zweite und stürzte rücklings auf einen Felsbrocken. Der dritte wehrte sich verbissen, doch schließlich war auch er bezwungen.
    Nach Luft ringend, hielt der Krieger einen Moment lang inne und betrachtete die Männer mit einem resignierten Gesichtsausdruck, als habe er sie in besseren Tagen einmal gekannt.
    Und dieses Zögern kostete ihn das Leben. Als das Messer in seinen Rücken glitt, spürte er im ersten Augenblick so gut wie nichts. Doch er wusste, der Schmerz würde kommen.

    Ein letztes Mal nahm der Krieger die verbliebene Kraft zusammen, hob sein Schwert, wirbelte herum und nahm seinen Mörder mit in einen sicheren Tod.
    Bevor er das Bewusstsein verlor, hörte er die Rufe seines Bruders, und plötzlich blickten ihn purpurfarbene Feenaugen an. Sie allein folgten ihm in die alles verschlingende Dunkelheit.

1
Meine Reise
    N achdem die Rücklichter des Zugs von der Nebelwand verschluckt waren, wurde es still. Während ich am Bahnhof in Inverness gewartet hatte, war mir klargeworden, dass Frühling in Schottland anders aussah als zu Hause in Hamburg, wo rund um die Alster längst die ersten Krokusse mutig ihre Köpfe durch den harten Boden der Rasenflächen streckten. Meine Jacke war nicht annähernd so warm, wie ich sie mir in diesem Augenblick gewünscht hätte, und der einzige dicke Pullover, den ich eingepackt hatte, lag ganz unten im Koffer. Fröstelnd zog ich mir die Mütze tiefer ins Gesicht und beobachtete, wie mein Atem in kleinen Wölkchen davoneilte, als könne er es gar nicht erwarten, sich mit dem großen Weiß um uns herum zu vereinigen. Außer mir schien hier nur ein einziger Fahrgast ausgestiegen zu sein, und der war gerade vorbeigeschwebt. Geschwebt? Mit vorsichtigen Schritten folgte ich seinem dunklen Schatten und hoffte, er würde den richtigen Weg kennen.
    »Ich liebe Schottland«, hatte meine Nachbarin geseufzt, als ich ihr meinen Wohnungsschlüssel übergab, damit sie gelegentlich
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