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Leben im Buero

Leben im Buero

Titel: Leben im Buero
Autoren: Christoph Bartmann
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ablegen (in der Ablage, aber im Account, es gibt ja keine Akten mehr), anlegen (eine Akte, wenn es sie noch gäbe, oder doch eher ein Projekt oder eine Datei?), auslegen (eher weniger), einlegen, überlegen, vorlegen (natürlich »Vorlagen«), unterlegen (nicht mit Musik, sondern z. B. eine Projektplanung mit ausführlichen Schilderungen der Ziele), hinterlegen (nicht beim Notar, sondern z. B. »Budgets« mit »Planungen«) und natürlich zusammenlegen (etwa »Arbeitseinheiten«).
    Während das Strategie-Meeting läuft, ertappe ich mich dabei, dass ich solchen und ähnlichen Gedanken nachhänge, dass ich Listen, na was wohl , anlege , und überhaupt: ich achte mehr als auf das Gesagte auf die unterschiedlichen Modi des Sagens. Ist das jetzt Arbeitsverweigerung? Oder angewandte Sprachkritik? Oder beides? Darf es sein, dass die Performanz der diversen Redebeiträge meine Aufmerksamkeit stärker beansprucht als die jeweils geäußerten Sachverhalte oder Meinungen? Es darf vielleicht nicht sein, aber ich kann es gerade nicht ändern, und vielleicht geht es ja in diesem Augenblick allen anderen an diesem Tisch ganz genauso, und vielleicht befinden wir uns gerade alle in einem Zustand kompletter Täuschung über den Gemütszustand der je anderen. Alle sind womöglich in ihren Gedanken weit abgedriftet und machen Listen mit den dummen Redensarten der anderen. Könnte nicht genau das der Grund dafür sein, dass wir uns so gern der vorgefundenen Redemittel bedienen? Weil sie uns das Tagträumen erlauben, während ein Autopilot unseren Redebeiträgen weiterhin sicher ins Ziel verhilft? »Wir müssen uns strategisch entschiedener positionieren, sonst ist unsere Visibilität gefährdet«, höre ich eben. Genau. Das musste dringend einmal gesagt werden.
    Â 
    16:00 Uhr: Beurteilungsgespräch. Während wir von einem Sitzungstermin zum nächsten springen, läuft, wie in den News-Kanälen des Fernsehens, eine Nachrichtenleiste mit. Leute rufen uns an, schreiben uns Mails, Aufgaben »schlagen auf« (wer hat eigentlich diese Redensart erfunden?), denen wir uns entweder zwischendrin widmen (»bin gerade in Eile, deshalb hier nur kurz«) oder die wir beherzt prokrastinieren (früher sagte man auch: auf morgen verschieben), wenn auch in dem Wissen, dass es ein besseres Morgen nicht gibt. Immer sind wir in der Schuld, oder wir haben Schulden, nicht notwendig in einem moralischen, sondern eher in einem physiologischen Sinn (»Sauerstoffschuld«), und wenn man seine Schulden nicht abtragen kann, dann muss man wenigstens umschulden, umbuchen, Bilanzierungstricks anwenden, die Chart-Technik schön pflegen. Immer hängen wir mit der Erledigung unserer Aufgaben zurück, allein schon deshalb, weil es jeden Moment von irgendeiner Seite neue Aufgaben regnen kann. Wäre es nicht logisch, gerade wenn man Ziele hat, aller Welt in einer Mitteilung Folgendes zu verkünden: »wegen akuter Zielerreichung bitte ich bis Jahresende von Anfragen Abstand zu nehmen«? Entweder erreiche ich meine vorab gesteckten Ziele oder aber ich bin offen für neu eingehende Aufgaben und Ziele. Beides geht nicht, das wissen alle, aber keiner will es wahrhaben, also schummeln wir uns weiter durch den Tag und durch das Jahr.
    Beurteilung ist ein schönes Wort, weil darin das Urteil steckt, jene menschliche Kapazität, zu der Kant das Subjekt befähigt sah. Schaut man sich freilich das »Be«-Präfix vor dem Urteilen an, dann befallen einen schon wieder leichte Zweifel. Wer ein »Beurteilungsverfahren einleitet«, ist assoziativ schnell beim Strafverfahren und bei der Aburteilung. Aber nein, der Verdacht ist unbegründet, wir bewegen uns hier, bei der Beurteilung, in einer Sphäre, die von Betriebsräten und Betriebspsychologen so eng umstellt ist, dass Fairness garantiert ist – allenfalls kann es passieren, dass vor lauter Fairness das Urteil ungefällt bleibt. Mit dem Beurteilen und Beurteiltwerden betreten wir einen geheiligten Bezirk des Gegenwartsbüros: die Zone, in der zu entscheiden ist, wann wir was (und ob wir überhaupt etwas) eine gute oder schlechte Leistung nennen wollen. Es wäre nur konsequent, wenn man auch diese Aufgabe an ein Evaluationsbüro abtreten könnte. Aber die Beurteilung bleibt, warum auch immer, eine interne Angelegenheit zwischen realen Personen. Damit es nicht zu unqualifizierten
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