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Leben im Buero

Leben im Buero

Titel: Leben im Buero
Autoren: Christoph Bartmann
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merkwürdige Kontrakte und Vereinbarungen, in Warentermingeschäfte, ja beinahe in Wetten eingebunden, die sie in die Situation einer Organisation auf Ab- und Widerruf bringen. Mit den strategischen Zielen besiegeln wir das Temporäre, Befristete unseres Daseins, denn jedes Ziel wirft, kaum formuliert, die bange Frage auf: »Und was ist, wenn ich es erreicht habe?«, womit ich dann meinen Daseinsgrund verspielt habe. Kennen wir nicht die Leere, die uns empfängt, wenn wir ein Ziel erreicht haben? Nach der Zielerreichung ist jedes Lebewesen erst einmal traurig. Das mag dem professionellen Zielerreicher in einem Unternehmen anders gehen: »Chef, wir sind auch dieses Jahr wieder stärker gewachsen als der Markt, bitte setzen Sie mir ehrgeizigere Ziele.« So redet nur, wer für seine Zielerreichung oder -übererreichung mit einem Bonus belohnt wird. Bei uns ist das anders: Wir werden, individuell und als Organisation, für unsere Zielerfüllung sehr wahrscheinlich keine Prämie bekommen. Eher als die Prämie bei Erreichung winkt uns die Sanktion bei Nichterreichung. Das führt dann dazu, dass wir in unseren Zielen wenig mehr artikulieren als unsere Bereitschaft zur Anpassung und zum Konformismus.
    Trotzdem spielen wir gut gelaunt und nimmermüde mit bei diesem und bei anderen Spielen, deren Sinn uns nicht restlos einleuchtet, die aber aus Gründen des Selbsterhalts und der Legitimation gespielt werden müssen, wie es heißt. Das heißt, wir reden den lieben langen Tag auch eine ganze Menge Blech, von dem wir durchaus wissen, dass es kein intellektuelles Edelmetall ist, von dem wir aber auch wissen, dass es gleichsam als semantischer Bürostandard unentbehrlich ist. Wenn man will, kann man an dieser unspezifischen Art unseres Büroredens unsere Professionalität erkennen. Wenn ein neues Jahr anfängt, nehmen wir uns regelmäßig vor, nicht mehr so viele Worthülsen zu benutzen und über die Worthülsen der anderen Buch zu führen. Nach ein paar Wochen haben wir das eine wie das andere vergessen und reden so daher, wie es halt guter Brauch ist. Sieht man einmal von der Überfloskel »gut aufgestellt / (Neu-)Aufstellung etc.« ab, die wirklich verboten werden müsste, dann geht doch alles Übrige. Wir haben uns einen neomanagerialen Sprachgebrauch zugelegt, der manchmal zwar in der Mundhöhle wie modrige Pilze schmeckt, der aber trotzdem nicht zu vermeiden ist. Und selbst dann muss einem auch erst einmal eine Alternative zur »benutzerfreundlichen Maske« einfallen, deren »Usability«-Probleme jetzt endlich behoben scheinen. Wie soll man das normalsprachlich ausdrücken? Aus zwei Quellen schießt unaufhörlich neuer Wort- und Formulierungsschatz in unsere Reden ein: aus der Betriebswirtschaft und aus der IT-Branche (beides Branchen, die nicht unsere sind), und beide Quellen lassen unsere Anglizismen dramatisch anschwellen: die Usability, die Feasibility, dann aber auch beinahe wieder altfränkisch: die Benutzeroberfläche. Wir müssen aufpassen, dass wir die Usability nicht schon vor dem Release bis zur Unhändelbarkeit zerpflegen. Wenn wir im Büro sprechen, spricht aus uns und durch uns die Spaltung unserer Persönlichkeiten in einerseits restabendländische Bildungssubjekte und andererseits digitalkapitalistische Chaospiloten.
    Unter Office und im Einzugsbereich strategischer Ziele zu arbeiten, bedeutet immer auch, Formatvorlagen zu bedienen, an Masken eben, an deren Benutzerfreundlichkeit ohne Unterlass gearbeitet wird. Zur Maske unterhalten wir ein transitives Verhältnis: wir »befüllen« sie (anders als Formulare, die man bloß »ausfüllte«). Überhaupt ist das ›be‹ unser wichtigstes Präfix geworden. Es ist so schön funktional. Budgets werden »beplant« und Masken eben »befüllt«, so wie man im Krieg gegnerische Stellungen mit Feuer »bestreicht«. Wie selbstverständlich kündigt der Kurator X. an, er werde bei der nächsten Biennale 10 000 Quadratmeter Industriebrache mit Gegenwartskunst »bespielen«. Im Präfix ›be‹ spricht sich die Professionalität unseres Umgangs mit den gefügig gemachten Instrumenten aus. Oder spricht sich darin nicht eher die Professionalität der Instrumente im Umgang mit uns aus? Man könnte das Spektrum unserer Aktivitäten auch anhand der möglichen Präfixe des Verbums »legen« illustrieren:
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