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Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)

Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Marlene Klaus
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Eins
    Der Schnee kam früh in diesem Jahr.
    Hedwig erlaubte sich, einen Augenblick innezuhalten und sah aus dem Fenster. Es schneite große Flocken. Zielsicher strömten sie zu Boden, stetig und eilig wie die Vorüberhastenden unten auf der dämmrigen Hauptstraße. Ein weißer Flaum legte sich auf Baretts und Schauben, auf Simse und Dächer Heidelbergs.
    Wie sie es liebte, so weit über allem zu stehen und hinunterzuschauen. Dabei befand sie sich erst im zweiten Obergeschoss des großen Hauses. Drei Stockwerke gab es noch über diesem. Gleichwohl, sie sollte mit ihrer Arbeit fortfahren. Sie warf einen letzten Blick hinunter, sah vereinzelt Laternenlichter huschen, da zuckte sie jäh zusammen und trat einen Schritt vom Fenster zurück.
    Da war er wieder! Nicht mehr als ein Schemen im treibenden Schnee. Oder täuschte sie sich? Nein, drüben harrte er reglos in einer Mauernische der Heiliggeistkirche. Eingehüllt in einen dunklen Umhang, die schneebedeckte Kapuze tief ins Gesicht gezogen, nicht anders als die meisten Menschen in dieser Jahreszeit, dennoch auf besondere Weise eigentümlich, ohne dass sie hätte sagen können, woran das lag. Sie meinte, ihn schon öfter gesehen zu haben, und er war ihr unheimlich. Er war wie unsichtbar und doch da.
    Was wollte er? Spähte er das Haus ihrer Herrschaft aus? Hedwig sah sich in dem großen Wohnraum um. Alles hier war so wunderbar gestaltet und kostbar. Wollte er die Beliers ausrauben? Sollte sie Herrn Belier ihre Beobachtung mitteilen? Sie schaute noch einmal hinunter – er war weg! Vielleicht hatte er auf jemanden gewartet? Ach, sicher täuschte sie sich. Heidelberg quoll ja über von Menschen aller Art. Sie durfte nicht so misstrauisch sein. Zudem war das Haus ihrer Herrschaft stattlich und sicher. Sämtliche Türeinfassungen waren nicht nur aus Stein, sondern auch mit rankendem Grün ummalt. Im gesamten Haus roch es auch drei Jahre nach dem Neubau noch immer nach frischem Holz, Stein und Farbe. Es war prachtvoll! Abermals spürte sie Stolz. Sie hätte Philipp wieder und wieder dafür küssen mögen, dass er ihr diese Anstellung verschafft hatte. Bereits vor einem Jahr hatte er beim Tuchhändler Belier vorgesprochen und um eine Stellung für sein zukünftiges Weib gebeten. Mit einem Empfehlungsschreiben seiner kurfürstlichen Gnaden, denn es war unüblich für eine verheiratete Hausfrau, als Magd zu arbeiten. Kurz vor ihrer Hochzeit im vergangenen Februar war sie dann mit ihrem Vater hier gewesen, um die Anstellung fest zu verabreden. Denn da hatte auch er längst begriffen, dass nichts sie und Philipp davon abbringen würde, sich an ihrem sechzehnten Geburtstag zu vermählen. Sie hatten Ziele. Ebenso sehr wie Philipp sich gewünscht hatte, Knecht in der kurfürstlichen Kanzlei zu sein, war es ihr Wunsch gewesen, in einem guten Haus in Heidelberg Arbeit zu finden. Sie würden ihr Leben gemeinsam aufbauen. Eines Tages ein Gärtchen besitzen, Ziegen, Gänse. Da musste man gut zusammen wirtschaften. Dafür hatte sie ihre anfängliche Unsicherheit wegen ihrer Herrschaft in Kauf genommen. Beliers waren Wallonen. Inzwischen wusste sie: Sie hätte es nicht besser treffen können. Fremde hin oder her, Beliers waren nicht nur wohlhabend, sondern auch wohlwollend und großmütig. Als sie vor vier Monaten mit ihrer Tochter Juli niedergekommen war, durfte sie nicht nur die üblichen sechs Wochen zu Hause bleiben, sondern sieben. Und ihre Herrschaft hatte nichts dagegen gehabt, dass sie ihr Töchterchen mit hierher brachte, solange sie in der Küche unter der Aufsicht der Köchin schlief und Hedwig nicht an ihrer Pflichterfüllung hinderte. Ja, in diesem Hause wehte ein angenehmer Geist. Beliers waren vor vielen Jahren des Glaubens wegen aus Tournai weggegangen und zunächst nach Frankfurt gezogen, bevor sie sich in Heidelberg niederließen. Mit Unterstützung des jungen Kurfürsten, wie Madame immer wieder betonte. Die Familie stand gut mit dem Hof. Dass der Herr Tuchhändler da nicht Nein sagte, als der Kanzleiverwandte Philipp Eichhorn mit einem Empfehlungsschreiben von Kurfürst Friedrich um eine Stellung für sein Eheweib bat, lag auf der Hand. Seine Teller füllten sich nicht zuletzt durch Bestellungen kostbarer Tuche, wenn die Hofkleidung der kurfürstlichen Kammerjungen und Lakaien oder die Röcke der Trabanten und Soldaten neu gefertigt werden sollten. Kurfürst Friedrich war den Beliers teuer – verständlicherweise. Und so hatte Hedwig vor neun Monaten, kurz nach ihrer
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