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Leben im Buero

Leben im Buero

Titel: Leben im Buero
Autoren: Christoph Bartmann
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Wirtschaftsunternehmen. Wir sollen und wollen unternehmerisch handeln, auch wenn wir weiter unter den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst fallen. Irgendwie sind wir heute alle Unternehmer, und plötzlich kann es geschehen, dass wir zu Leitern eines Profitcenters erkoren werden und mit unseren Kollegen auf demselben Gang fortan in Geschäftsbeziehungen einzutreten haben. Wir stellen also Businesspläne auf oder melden darin kühn Mehrbedarf an, obwohl wir wissen, dass auch der beste Businessplan keinesfalls mehr – sondern höchstens nicht ganz so viel weniger – Budget nach sich ziehen wird. Es sind Spiele, die gespielt werden müssen. Ich werde hier und heute meinen Finanzbedarf anmelden, der natürlich ein Mehrbedarf ist, werde ihn erklären und erläutern, und zwar am besten ganz ohne Erwähnung der schon existierenden Aufgaben und Funktionen, sondern mit kühnem Blick in die Zukunft. Für die Rechtfertigung der Ressourcen von morgen muss ich erfinderisch sein, ich muss neue Ziele und neue Projekte definieren, weil sich doch die Welt so dramatisch verändert, ich muss mein Tun insgesamt ins Zeichen des Neuen stellen, ganz abgesehen davon, dass ich ja vielleicht wirklich ein neues Ziel oder Projekt habe. Kurzum, die Budgetsitzung ist zugleich eine Sitzung, in der ich über das Gesamtdesign meiner Planung und, so ein anderes Zauberwort, Performance zu bestimmen habe. Und auch hier wirkt wieder der post- oder neobürokratische Grundsatz, den Mund möglichst voll zu nehmen. Die Vergangenheit ist nicht viel wert, aber auch die Zukunft nur so viel, wie sich von ihr mit Ankündigungen, Ansagen, Prognosen und Hypothesen füllen lässt. Jede Planung ist eine Rolle vorwärts in die Zukunft. Prognose, Projekt, Programm, Prozess, das »Pro« artikuliert hier jedes Mal den Umstand, dass ich mir selbst vorauseile, dass etwas zwar noch werden muss, das jetzt aber schon verbal gewusst oder behauptet werden kann. Die Zukunft ist dann nur noch der abarbeitende Vollzug unseres Vorwissens. Manchmal kann es scheinen, als hätten die öffentliche Verwaltung, aber auch das Bildungswesen vollständig auf den »Pro«-Modus umgestellt. Planung stellt sich dar wie eine fortwährende Flucht aus der Gegenwart. Nie darf es darum gehen, ein unter Mühen Erreichtes zu erhalten und zu bewahren, noch viel weniger darf es darum gehen, fatale Entwicklungen aufzuhalten und hinauszuzögern; stets muss die Gegenwart als unzulänglich beschrieben werden, damit die Zukunft im Lichte unserer Projekte und Maßnahmen als strahlende erscheinen kann. Zukunft ist immer da, wo »wir hinwollen«. Während die Haushalte stagnieren oder jederzeit die nächste Kürzungsrunde droht, muss unserem Handeln doch eine dynamische Komponente eingeschrieben sein, die nur mit einer regelmäßigen Verdopplung unserer Budgets tatsächlich zu realisieren wäre. Auch das Budget gehört solcherart zu den Sprachspielen des Büros. Viel mehr als eine Rechenübung – wenngleich hier und jetzt die Stunde von MicrosoftExcel schlägt – ist es eine Formatier- und Semantikübung, für die ich die ganze Bandbreite der marktgängigen Zukunftsbeschwörungsformeln abrufen muss: »innovativ«, »leistungsfähig«, »nachhaltig«, »netzwerkorientiert«, »wissensbasiert«, »Meilensteine« und so weiter. Mein Budget ist, wie meine Ziele, ein Wahl- oder Wiederwahlprogramm. Ich stelle mich meinem Geld- und Auftraggeber zur Wiederwahl, und um ihn freundlich zu stimmen, verspreche ich ihm das Blaue vom Himmel, präsentiere mich als entschieden zukunftsfähig, nicht anders, als es die Parteien im Wahlkampf oder nach den Wahlen im Koalitionsprogramm tun. Mein ganzes dienstliches Singen und Sagen hat sich in den letzten Jahren merklich in Richtung Reklame und Politik, also Public Relations, verschoben. Fast schon agiere ich selbst wie ein Politiker, dessen Sinnen und Trachten immerfort auf den nächsten Wahltag gerichtet ist. In meine Kommunikationen ist durchgehend eine Überredungskomponente eingebaut, das heißt, es kommt weniger auf ihren Sach- und Wahrheitsgehalt und immer mehr auf ihre Überzeugungskraft beim, das Wort geht uns mühelos über die Lippen, Stakeholder an. Auch mein Budget ist eine Komponente meines Marketings und damit Bestandteil der Gesamtanmutung, die ich verbreite. Der öffentliche Dienst scheint mit Public
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