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Lazyboy

Lazyboy

Titel: Lazyboy
Autoren: M Weins
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Erste Tür
    1
    Die Sprechstundenhilfe öffnet die Tür und singt meinen Namen: »Herr Lazyboy, bitte.«
    Alle Augen wenden sich mir zu. Den Namen habe ich noch aus meiner Zeit als Rapper und als ich aufgelegt habe. Das habe ich sogar relativ lange noch gemacht, eigentlich fast bis gestern, wenn ich ehrlich bin. Und dann habe ich den Namen beibehalten, weil ich es cool fand, wenn unter meinen Plattenkritiken bei brünett Lazyboy steht. Lässig klingt das, finde ich. Sogar noch heute. Leider viel lässiger als der Typ, der da dahintersteht. 35 Jahre. 1 Meter 82, halblange, etwas schüttere blonde Haare im gerade angesagten Schnitt, Berufsjugendlichenkleidung. Ich habe es sogar in meinen Pass schreiben lassen, hat mich vierzig Euro gekostet, als Künstlername, Lazyboy. Und ich stelle mich tatsächlich so vor, auf Ämtern und bei Vorstellungsgesprächen, Eigenkonfrontationstherapie, um mich auf Kurs zu halten. Bloß nie weg vom Rand der Klippe, das ist mein Lebensmotto. Einmal passt du nicht auf und schon bist du Ernst Dieter Müller, sitzt auf dem Rasenmähertraktor, tuckerst über Vorortrasen, und durch die angelehnte Terrassentür hörst du den Säugling schreien. Und auch um mich vorzuführen und weil es einfach zu gut passt: Der faule Junge. Und außerdem sehe ich gerne zu, wie die Leute reagieren.
    »Ist das Ihr echter Name, Lazyboy? «
    Und ich sage: »Klar, Vorname Lazy , Nachname Boy , steht sogar in meinem Pass.«
    »Haben Ihre Eltern sich das einfallen lassen?«
    »Jaja, das sind so Althippies mit ganz verrückten Ideen, Egomanen der Selbstverwirklichung, haben ihren Spieltrieb an mir ausgelassen, und ich bin ja auch in Bangladesch in der Kommune geboren, müssen Sie wissen, und von der Gruppe aufgezogen worden, eine ambivalente Erfahrung für ein Kind.«
    Oder: »Ja, Sie kennen doch den gleichnamigen Sessel? Mein Vater war der Fabrikant, erst der Sessel und dann ich, leider ist er verstorben.«
    In Wirklichkeit heiße ich Heiner Boie, aber ich wurde schon in der Schule Boy genannt, und das Lazy hat sich später zwangsläufig ergeben.
    Seit einiger Zeit gibt es eine Band in Schweden, die sich so nennt. Es ärgert mich maßlos, aber ich war früher.
    Im Behandlungszimmer umfängt mich blaues Licht, das kommt von der Auslegeware. Auf dem Schreibtisch steht ein HSV-Kaffeebecher neben dem Porträtfoto vom Sohn, sieben Jahre. Ein Bild der Gattin steht da nicht.
    Der Arzt öffnet die Tür, zieht den Kopf ein, als er den Raum betritt. Er sieht aus wie die Geier im Dschungelbuch, lang und hager, große Nase, Beatles-Frisur. Eigentlich mag ich es gar nicht, zu Leuten aufschauen zu müssen. Ich habe ihn mir aus dem Telefonbuch ausgesucht, Allgemeinmediziner, weil mir sein Name gefiel. Dr. Brose. Ich stelle mir eine einzelne Brausetablette vor, die in einer Brotdose aufbewahrt wird. Außerdem liegt seine Praxis in der Nähe meiner Wohnung. Normalerweise gehe ich nicht zum Arzt, ich werde einfach nicht krank, da halte ich nichts von.
    »Tja«, sagt er, als er mir die Hand gibt.
    Beide nehmen wir Platz. Er schaut in seine Kartei. »Herr – äh, Lazyboy. Was kann ich denn für Sie tun? Helfen Sie mir auf die Sprünge ... Wir kennen uns noch nicht, oder?«
    Ich schaue auf seinen Pony, seine Prinz-Eisenherz-Frisur. Das ist entweder ganz weit vorn oder sehr, sehr weit zurück. Vermutlich ist es Zweiteres, wenn ich mir den Rest so anschaue. Er hat eine große Nase.
    »Ich bin zum ersten Mal da«, sage ich.
    »Aha«, sagt er und notiert sich etwas. Dann schaut er mich erwartungsfroh an. Er faltet seine Hände. Ich rutsche auf meinem Stuhl hin und her. Ich hasse es, aus dem Po zu schwitzen, aber es passiert mir immer öfter, gerade bei den angesagten Jeans kommt es besonders oft vor, die sind nichts für den reiferen Männerkörper. »Womit kann ich dienen?«, fragt er. »Wo drückt der Schuh?«
    Das habe ich auch lange nicht gehört. Ich schaue auf meine Füße, die in ultrabequemen Sneakern Ferien machen , möchte ich fast sagen. Von Schuh drücken kann nun wirklich keine Rede sein. Ich grinse ihn breit an. Er lächelt irritiert zurück.
    »Nun?«, fragt er.
    »Ja«, sage ich. »Ich leide unter Blackouts.«
    Diese Formulierung habe ich mir zurechtgelegt, weil sie am ehesten zu passen scheint. Und auch sie kleidet nur notdürftig in Worte, was ich erlebe. Ich sage: »Gerade befinde ich mich noch an einem Ort, irgendeinem Ort, und schwupp, schon komme ich plötzlich an einem völlig anderen zu mir, ohne dass ich Erinnerungen
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