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Leben im Buero

Leben im Buero

Titel: Leben im Buero
Autoren: Christoph Bartmann
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Relations fusioniert zu haben. Nie ging es mehr darum, »sexy« zu sein. Wobei »sexy« hier nicht unbedingt etwas Schönes meint.
    Nun ist es schon wieder deutlich nach 18.00 Uhr, ich sollte noch mal meine Mails checken und den Aufgaben, die mir von dort entgegengrinsen, wenigstens kurz ins Auge schauen, ehe ich ihre Erledigung vertage. Eine Kollegin bittet um Textbausteine. Wir alle bitten einander fortwährend um Textbausteine, die dann von irgendeinem Unglücklichen zu Textflächen zusammengeleimt werden müssen. Eine andere Kollegin bittet rasch noch um eine Vorlage, es kann auch eine »Tischvorlage« sein, d. h., dass man sich ein bisschen mehr Zeit lassen darf. Ein weiterer Kollege bittet mich, ich möge meine »Bedarfe« an irgendetwas bis morgen 12 Uhr melden. »Bedarfe«, ist das jetzt noch Deutsch? Aber können wir uns Sprachkritik in diesem Moment wirklich leisten? Ein nigerianischer Ölminister außer Dienst bittet mich, kurzfristig 500 000 auf einem Sonderkonto in Lagos zu parken, die Rendite werde sensationell sein – ein Vorschlag, den ich im Augenblick nicht weiter verfolge. Eine andere Kollegin möchte Qualitätsstandards definieren und für diesen Zweck rasch einen zweitägigen Workshop einberufen, wieder ein anderer Kollege möchte mein Führungsverhalten schulen, und zwar immerhin in einem Hotel der Komfortklasse. Ah, und er fordert eine »Lesebestätigung« an. So geht es dahin, auf den Wellen von Outlook, und ich bin gut beraten, vor Dienstschluss noch eben die Funktion »Weiterleiten« zu bedienen und wenigstens einige der Aufgaben in berufenere Hände zu legen. Wie sagt man im Büro so schön: »Ich habe Ihnen etwas auf den Tisch gelegt« (man müsste ergänzen: »…das auf meinem Tisch stark nach Arbeit aussah.«). Man kann auch sagen: »Ich habe etwas an Sie weitergeleitet.« Der andere weiß dann schon, was das bedeutet. Souverän im Büro ist, wer Arbeitsaufträge an andere weiterleiten kann – natürlich nicht ohne darum zu bitten, über den weiteren Fortgang engmaschig und ja, »zeitnah« informiert zu bleiben. »Halten Sie mich informiert« heißt ja nur: Ȇbernehmen Sie die Arbeit, belästigen Sie mich nicht mit Einzelheiten, aber vergessen Sie nicht, dass Sie in meinem Auftrag handeln.« Spät am Abend, wenn die freundlichen Reinigungskräfte unsere Papierkörbe zu leeren beginnen, wissen wir, dass wir auch heute nicht wirklich »einen Unterschied gemacht« haben, aber wir haben überlebt und nicht übermäßig gelitten, und was dürfen wir sonst hoffen?
    Manchmal fragen mich Kollegen, ob man die schöne neue Office-Welt so kritisch sehen müsse. Das sei nun mal die neue Wirklichkeit, auf der man doch einfach »surfen« lernen müsse. Man könne doch, sagen sie, die vielen Instrumente ganz locker spielen. So gewänne man Legitimation nach außen und Orientierung nach innen. Ich müsste schon mal einen konstruktiven Vorschlag machen, wenn ich mir andere Verhältnisse wünschte, sagen sie mir. Das fehlte noch, gebe ich zur Antwort, dass ich euch einen konstruktiven Vorschlag mache. Mein ganzes Sinnen und Trachten ist konstruktiv; was ich beklage, ist die Kolonisierung unserer Arbeitswelt durch Formate, Formatierungen, Formalitäten. Aber das sind doch Methodiken, Verfahren, Abläufe und Prozesse, sagen sie, durch die deine Arbeit effizient, darstellbar und messbar wird. Das sind Routinen und Standards, die verhindern sollen, dass (wieder der Büro-Klassiker) »jedes Mal das Rad neu erfunden wird«. Nein, Kollegen, die Routinen und Standards, die Dokumentationen und Evaluationen, die Instrumente und Verfahren sind nicht etwa der freundliche Ermöglicher, sondern der Widersacher dessen, was ich überhaupt erst Arbeit nennen würde. Oder sehe ich da etwas falsch? Fehlt mir etwas, das in der gegenwärtigen Arbeitswelt zunehmend wieder gefragt ist: der Glaube, das Commitment gar? Bin ich der ungläubige Thomas der neuen Bürokratie? Trotzdem praktiziere ich ja all die geforderten Methoden – es wäre ganz unmöglich, es nicht zu tun.
    Ich praktiziere den Katechismus des New Public Management, ohne an ihn zu glauben. Mache ich mich damit einer Illoyalität gegenüber meinem Arbeitgeber schuldig? Müsste ich, was ich tue, auch glauben? Die positiven Appelle der Managementlehren, mit ihren
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