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Leben im Buero

Leben im Buero

Titel: Leben im Buero
Autoren: Christoph Bartmann
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vielleicht nur einen Plan. Die strategischen Ziele, über denen wir heute Nachmittag brüten, sollen aber gar nicht die Vorstellungskräfte entfesseln, sondern, wie die üblichen Unternehmensstrategien, vor allem die sogenannten Stakeholder bei Laune halten – indem wir ihnen erzählen, womit sie ohnehin gerechnet haben, nur eben mit leicht dynamischer Komponente (irgendetwas wird »verstärkt« getan werden, von irgendetwas wird es »mehr« geben). So legt sich von Anfang an der Mehltau der üblichen, marktgängigen Sprachregelungen, der tausendfach gesagten und nie geglaubten Formelnüber unsere Sitzung. Wir könnten viel besser sein, denke ich, und andere denken es auch, aber wir dürfen nur so gut sein, wie man uns sein lässt, nicht wie unsere Vorgesetzten es uns sein lassen, sondern wie die Politik (die auch nach Clausewitz in letzter Instanz über das Kriegsziel entscheidet) uns sein lässt. Wir dürfen nicht erkennbar klüger und visionärer sein, als, sagen wir, das Koalitionsprogramm der aktuellen Bundesregierung. Wenn dort etwas von, sagen wir, »Wissensgesellschaft« oder »Bildungsrepublik Deutschland« geschrieben steht, sind wir gut beraten, nicht wesentlich über solche semantischen Leerverkäufe hinauszugehen. So kommt es, dass die strategischen Ziele selten unser wirkliches Wollen und unsere besten Kräfte aufrufen und mobilisieren, sondern meistens nur das, was eine politisch etablierte und zäh auf Durchschnitt herunterverhandelte Mittellage an Ideen und Initiativen übriglässt.
    Was genau sind eigentlich Ziele? Sind Ziele etwas Ähnliches wie die guten Vorsätze zu Jahresbeginn, mit denen ich, ganz ähnlich wie die Unternehmenssprecher bei ihren Ziel-Proklamationen, schon mal vorab verkünde, was ich erst noch zu tun gedenke, und dabei schon einmal einen Teil der Prämie als Kredit (in Form von Selbst- und Fremdzufriedenheit) einstreiche? Oder ist ein Ziel eher so etwas wie eine Etappe beim Sport, also etwas, das auch einen Start kennt und die Strecke dazwischen? Ist das Ziel eine Absicht? Ein Traum? Ein Quantum Arbeit? Oder eine fixe Idee? Jedenfalls hat sich eingebürgert, dass nicht nur Individuen, sondern auch Institutionen Ziele haben sollen, qualitative und, noch besser, weil sie messbar sind, quantitative. Die ideale quantitative Zielmarke sind die Quoten der Rundfunk- und Fernsehanstalten; dass sie qualitativ nicht viel aussagen, weiß jeder Fernsehzuschauer aus Erfahrung. Gut messbar ist auch die Auslastung, etwa von Theatern und Opernhäusern, und nicht notwendig deutet eine gute Auslastung auf schlechte Qualität. Es gibt nichts, das nicht gemessen werden könnte, aber nicht immer führt die Messung zu Erkenntnissen.
    Wenn ich über den Komplex namens »meine Ziele« ins Nachdenken gerate, wird mir schnell unfroh zumute. Was sind meine Ziele? Habe ich nicht meine besten dienstlichen Momente, wenn ich ziellos agiere und trotzdem etwas erreiche? Und wenn ich meine Ziele kenne, soll ich sie dann wirklich ausplaudern? Soll ich sie nicht lieber einfach nur erreichen (nachdem ich sie in einem versiegelten Brief bei meinen Chefs hinterlegt habe), statt sie jetzt schon zu verkünden? Lassen sich meine Ziele überhaupt abtrennen von meinem mehr oder minder geheimen Wunsch, diese oder jene Funktion zu erringen, ein höheres Amt zu bekleiden, mehr Geld zu verdienen und so weiter? Warum darf ich aber über diese, die wahrhaft strategischen Ziele bei allen unseren Anlässen nicht reden, warum muss ich statt dessen so tun, als ginge es mir wirklich nur darum, zum Beispiel die Zahl der erfolgreichen Personalentwicklungsmaßnahmen in meiner Abteilung auf über fünfzig zu steigern?
    Nun, das Strategie-Meeting ist ja keine Sitzung der Wahrheitskommission. Aber wäre es nicht trotzdem schöner und besser, unser gesammeltes Reden energischer in den Dienst der Wahrheit (oder die Wahrheit in den Dienst unseres Redens) zu stellen? Das Verhältnis der Strategie zur Wahrheit ist kompliziert: die Strategie soll ja unser Gesamtwollen abbilden, so dass schon das Wollen auf den Auftraggeber derart überzeugend wirkt, dass er uns weiter mit »Ressourcen« ausstattet. Die Strategie ist ein Wechsel auf die Zukunft, und das ist, zumindest für Institutionen, eine waghalsige Option. Sie wurden einmal gegründet, um Bestand zu haben und dabei ihre Aufgaben wahrzunehmen. Nun sind sie in
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