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Leben im Buero

Leben im Buero

Titel: Leben im Buero
Autoren: Christoph Bartmann
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könntet und mich einfach mal arbeiten ließet? Ich würde beispielsweise gern einfach mal einen Brief schreiben und mich dabei weder selbst beobachten noch von euch beobachtet werden. Raus mit euch Externen, jedenfalls für den Moment, und sei es auch nur, weil ich jetzt meine wohlverdiente (wie man so sagt) Mittagspause antreten möchte.
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    14:00 Uhr: Strategie-Meeting . Auch wenn man, wie moderne Angestellte, mittags »nur einen Apfel« isst, sollte man – und hier werde ich nun selbst zum Berater und stelle fest, dass mir diesen guten Tipp kein Berater je gegeben hat – diesen Apfel unbedingt in der Kantine verzehren und nicht etwa solitär am Arbeitsplatz. Man sollte sich unbedingt in Abständen unter Menschen begeben, und das heißt nicht etwa nur in Sitzungen. Zwischen Tür und Angel, auf dem Flur, in der Teeküche und vor allem in der Kantine ereignet sich unaufhörlich Bedeutsames – und nicht etwa, weil wir dann nicht das Dienstgespräch pflegten, nein, wir setzen es auf einer höheren, entspannteren und ergiebigeren Ebene fort. Deswegen ist es immer eine gute Idee, das Dienstliche beim Essen zu besprechen; anders als bei Sitzungen strukturiert die Menüfolge den Ablauf des Gesprächs und erzwingt spätestens beim Espresso ein Ergebnis, mit dem man auseinandergehen kann. Jetzt aber rasch zum Strategie-Meeting.
    Mit der Strategie ist es so eine Sache. Wer kann mir bitte noch einmal kurz den heute so beliebten Unterschied zwischen »strategisch« und »operativ« erklären (und gibt es nicht drittens auch noch das »Taktische«?), möchte ich gern zu Beginn eines jeden dieser Meetings ausrufen, aber das geht natürlich auch nicht. Fest steht, dass »strategisch« Aussagenbündel von besonderer Dringlichkeit und Relevanz bezeichnet, die dann operativ bloß noch umgesetzt werden müssen. Oder habe ich da was falsch verstanden? Das Strategie-Meeting, fest in den Händen von PowerPoint, hat uns versammelt, um über neue Strategien nachzudenken – eigentlich ein willkommener Anlass, ein bisschen über den Alltag hinauszudenken in die Zukunft. Strategie: bei diesem großen Wort denken manche Leute immer noch zuerst an Clausewitz und nicht nur an die Performance der Deutschen Telekom im letzten Quartal. Wer Clausewitz sagt, der sagt Krieg und »Zweck«, »Ziel« und »Mittel«. Der Zweck des Krieges, sagt Clausewitz, liege darin, »dem Gegner unseren Willen aufzuzwingen«. Dazu muss der Gegner wehrlos gemacht werden, die gegnerischen Streitkräfte müssen also ausgeschaltet werden. Dies ist das Ziel zum Zweck, das mit Hilfe einer Strategie angepeilt wird und wozu Mittel aller Art, auch nichtmilitärische, zum Einsatz gelangen. Wer aber ist unser Gegner?
    Irgendwann ist Clausewitz zum Marketing-Guru aufgestiegen, weil man beispielsweise den Zahnpasta-Markt als Kriegsgebiet identifiziert hatte, und irgendwann später ist dieser Marketing-Begriff von Strategie in Unternehmen und Verwaltungen eingedrungen, die sich bis dahin nicht als Kriegsgebiet verstanden hatten. So kommt es, etwas verkürzt erzählt, dass wir heute Nachmittag ein Strategie-Meeting haben, nicht in einem Imperial War Room, sondern, bei Keks und Kaffee, in einem netten Besprechungsraum. Strategie ist eigentlich etwas, das geheimgehalten gehört (oder gibt es einen erfolgreichen Krieg ohne Kriegslist?), aber wir machen aus ihr bestimmt kein Geheimnis. Auch das haben wir uns wahrscheinlich von den Unternehmen abgeschaut, die rund um die Uhr Geschichten erfinden und erzählen müssen, um die Phantasie der Börse anzustacheln. »Nächstes Jahr wollen wir Weltmarktführer sein«, Ȇbernächstes Jahr wollen wir das wettbewerbsfähigste Pharma-Unternehmen Europas sein«, Ȇberübernächstes Jahr wollen wir mehr als die Hälfte des Marktanteils erobert haben« und das alles mit Hilfe von Strategien. Wichtig ist zunächst die Ankündigung von Großtaten – und wie verführerisch klingen in manchen Ohren Begriffe wie Balanced Scorecard, Portfolio Analyse, Potentialanalyse, ROI Analyse, als hätte, wer so redet, schon halb gewonnen.
    Merkwürdig, wie wir uns den Blick in die Zukunft durch ihre Verkürzung auf strategische Ziele planmäßig verbauen. Man könnte ja zum Beispiel eine Idee haben, oder sogar eine gute Idee oder mehrere gute Ideen oder gar eine Vision, eine Utopie oder
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