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Die Scanner

Die Scanner

Titel: Die Scanner
Autoren: Robert Sonntag
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Der Alte
    Mzzzp. Die Tür zu unserem Abteil im Metro-Gleiter glitt auf. »Guten Tag, ich bin Lukas. ’tschuldigen Sie bitte die Störung. Ich lebe seit fünf Monaten in der C-Zone. Und ich bin leider auf Ihre Hilfe angewiesen. Wenn Sie vielleicht ein wenig Geld für mich haben …«
    Er zeigte auf den mobilen Zahlungsempfänger, der an seinem Gürtel hing.
    »… oder auch ein paar Aroma-Tabletten, ein paar Stunden Account für meine Mobril …«
    Er tippte auf die Mobril-Fassung auf seinem Kopf. Sie hatte nur noch auf einer Seite ein Glas und reagierte auf sein Pochen mit einem Mzzzp . Das andere Auge schaute uns unverglast, direkt an.
    »Freue mich über alles. Und ’tschuldigen Sie nochmals die Störung.«
    Ich hasste diese C-Zonler. Sie erinnerten mich an den allseits drohenden Abstieg von der A- in die Chaos-Zone, wie wir A-Zonler die C-Zone nannten. Und sie erinnerten mich an Nomos. Meinen Chef. »Quote erfüllen oder ab mit euch in die C-Zone!«, sagte er immer. Ich hasste Nomos wie diesen C-Zonler. Und ich hasste diesen Metro-Gleiter.
    Mit einer riesigen Geschwindigkeit schoss er auf einem Magnetgleis durch die Stadt. Der Gleiter beschleunigte und bremste im Minutentakt. Von Station zu Station. Die vielen Kurven machten mir schwer zu schaffen.
    Wir saßen zu dritt im 20er-Abteil. Ich presste die Hände auf die Armlehnen. Gegenüber von mir saß Jojo, mein bester Freund. Neben mir ein alter Mann, mit dem die ganze Sache begann.
    Es war eine meiner letzten Fahrten mit dem Metro-Gleiter. Ich meine nicht in dieser Woche oder so. Sondern überhaupt in meinem Leben. In wenigen Tagen sollte das alles für mich Altwissen sein. Aber davon ahnte ich nichts in dieser Minute, in der ich mit Jojo und dem Alten im Abteil saß.
    Der Alte neben mir nickte dem C-Zonler zu. Der lächelte und deaktivierte seinen mobilen Zahlungsempfänger. Mzzzp. Wir waren wieder alleine in unserem Abteil. Ohne den C-Zonler. Der Alte blieb. Er hatte graue, lange Haare. Aus dem schwarzen Kapuzenpullover schaute ein gelber Hemdkragen.
    Ich war perplex. Ich hatte real noch nie einen Menschen mit so vielen Haaren gesehen. Ich hatte eine Glatze, Jojo auch. Alle in diesem Gleiter vermutlich. Egal wie alt. Egal ob Frau oder Mann. Es war eine reine und rasierte Welt. Sie war glatzig. Glatzig und gut.
    Ich starrte den alten Mann an. Er blickte kurz auf und lächelte. Ich fühlte mich ertappt und schaute aus dem Fenster. Schwarze Betonstreifen zogen vorbei. Jeder Streifen ein Wohnblock. Jeder Wohnblock 200 Familien. Jede Familie ein Kind. Vorausgesetzt, die Zonenregierung stimmte dem Antrag der Eltern zu.
    Es durfte ja nicht jeder ein Kind haben. Wie meine Nachbarn zum Beispiel. Sie hatten zwar den Finanzcheck bestanden (beide A plus). Doch beim Gen-Eignungstest waren sie durchgefallen (über 1,3 Prozent Abweichung vom Normwert!).
    Regentropfen klatschten ans Fenster unseres Abteils und zogen dünne Spuren.
    »Müssen morgen mal in der Parkhalle suchen«, sagte Jojo.
    »Das wird ewig dauern. Was macht unsere Quote?«, fragte ich.
    »Wir liegen zurück. Nur zwei die Woche.«
    Ich presste die Lippen zusammen und schüttelte langsam den Kopf. Zwei war richtig schlecht. Das reichte längst nicht, um alle Rechnungen zu bezahlen. Von Woche zu Woche spürten Jojo und ich weniger auf.
    »Weißt du noch am Anfang?«, fragte ich.
    »Vor lauter Scannen kaum Zeit zum Atmen«, sagte er.
    Jojo und ich arbeiteten für die Scan AG – ein Tochterunternehmen des Weltkonzerns Ultranetz. Unser Arbeitgeber wollte die glatzige Welt papierfrei machen. Alles Wissen für alle! Jederzeit! Kostenlos! lautete das Motto. Wir halfen der Scan AG bei der Verwirklichung dieses Traumes. Jojo hatte mich reingeholt. Und ich träumte mit.
    »Die Zeit der Buchagenten ist vorbei«, sagte Jojo.
    Ich zählte nicht mehr die grauen Häuserblocks, hatte bei 132 aufgehört. »Vielleicht machen wir was falsch?«
    »Wir haben einfach schon alle Leser gefunden«, sagte Jojo. »Alle Bücher schon gekauft. Allen Quatsch schon gescannt.«
    Jojo war der Pessimist des Tages.
    »Und wenn wir die Abteilung mal wechseln?«, schlug ich vor.
    »Will keine verstaubten Landkarten suchen.«
    »Notizblöcke?«
    »Nein!«
    »Printbriefe?«
    »Vergiss es einfach. Und bevor du fragst: auch keine verschimmelten Ordner voller Papier.«
    »Vielleicht sind die anderen Teamchefs etwas …«
    »… netter als Nomos? Träum weiter!«
    Nomos jagte uns in der Zentrale von Seminar zu Seminar, von Meeting zu Meeting. Er
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