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Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Titel: Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)
Autoren: Meredith Duran
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Prolog
    Im Garten vor dem Fenster ergoss sich die Nachmittagssonne wie Honig über den Kiesweg, und die Fliederblüten bebten im leichten Wind. Drinnen im Salon war eine junge Dame nicht viel ruhiger. Einzig und allein Georges Spiegelbild in der Glasscheibe machte Lydia Mut. Dieser würdevolle, weltmännische Mann hatte ganz vergessen, dem Butler seinen Hut zu überlassen, und hielt ihn wie einen Schutzschild gegen seine Nervosität umklammert. Seine Aufregung entsetzte ihn zweifellos selbst. Denn er sagte oft, ein Politiker sei nichts ohne seine Selbstbeherrschung. Doch sie wollte eine Bereicherung für ihn sein: Wenn seine Stimme versagte, würde sie eben für sie beide sprechen. »Ich liebe Sie«, sagte sie.
    Seine erste Reaktion war das leise Knarren seines Schuhleders, als er auf sie zuging. »Wie bitte?«
    Ihr breiter werdendes Lächeln spiegelte sich im Fensterglas. Schon als kleines Mädchen hatte sie von diesem Moment geträumt. Später jedoch, als der Spiegel kundtat, dass sie nicht zu einer solchen Schönheit heranwachsen würde wie ihre Mutter, war sie ins Grübeln gekommen. Vielleicht würde sie niemals einen Mann finden. Ihre Belesenheit und ihre exzentrischen Interessen sprachen nicht gerade für sie.
    Doch dann hatte sie George kennengelernt. Da sie mit oberflächlicher Konversation nichts anfangen konnte und es ihr peinlich war, derart spät in die Gesellschaft eingeführt zu werden, hatte sie große Angst vor ihrem ersten Ball bei den Hartleys gehabt. In Georges Armen fiel ihr das Tanzen jedoch leicht. Deshalb tanzen Mädchen also so gern Walzer, dachte sie. Sie unterhielten sich während des ganzen Abendessens, und Georges Fragen bewiesen Tiefsinn und Substanz.
    »Ihr Scharfsinn ist höchst lehrreich für mich, Miss Boyce. Mir war nicht bewusst, wie sich Klugheit mit solch weiblicher Anmut paaren kann«, waren seine Worte gewesen.
    Nun wandte sie sich ihm zu, geradezu schwerelos vor freudiger Erwartung. Er stand neben dem Strauß gelber Rosen, den er ihr gestern erst geschickt hatte. Vor dem satten Mahagoni der Chiffonnier-Kommode leuchteten sie wie Fragmente aus Sonnenlicht. Ja, alles in dem kleinen, luftigen Salon erschien ihr wie vergoldet: Die blassen Wände und die Chintzbezüge der Polstermöbel wirkten freundlicher und heller in ihren Augen; die kühle Luft funkelte vom Duft der Rosen erfüllt. Dies war der Moment, an den sie sich stets erinnern würde. »Ich sagte, ich liebe Sie.«
    Er schnappte so laut nach Luft, dass es wie ein Keuchen klang.
    Draußen im Flur ertönten die Gongschläge der Standuhr. Sie war eine Antiquität, in deren tiefen, langsamen Glockenschlägen Lydia schon immer einen gelangweilten Unterton wahrgenommen hatte, als wäre die Uhr ihrer Pflichten überdrüssig und hätte die Neugier der Menschen nach der Uhrzeit satt. Letzten Monat hatte sie diesen Gedanken sogar George anvertraut, der sie daraufhin lachend als seine Uhrwerk-Philosophin bezeichnet hatte. In Anspielung darauf wollte sie noch breiter lächeln, aber das Lächeln erreichte ihre Augen nicht. Denn sie registrierte sein hochrotes Gesicht und seine gerunzelte Stirn. Was sollte das? Wollte er denn nichts erwidern und sie stattdessen nur entgeistert anstarren?
    Ein Fuhrwerk rumpelte durch die Hintergasse und brachte das Teetablett zum Klirren, was ihn aufzuschrecken schien. Seine Lippen zuckten und er straffte die Schultern. »Miss Boyce«, begann er. Vor fünf Minuten hatte er sie noch Lydia genannt. Kopfschüttelnd strich er sich über den Schnurrbart. »Meine Liebe. Es tut mir sehr leid, wenn ich Sie auf irgendeine Weise in die Irre geführt habe … Das war nicht meine Absicht, glauben Sie mir!«
    Sie musste sich auf der Rückenlehne des Stuhls abstützen, auf dem sie gerade noch gesessen hatte. Sie hatte ihm Earl Grey serviert; die Tassen standen noch auf dem Tisch mitten im Raum, ihr Löffel ragte in einem unschicklichen Winkel von der Untertasse. »Ich habe eine Frage von großer Bedeutung mit Ihnen zu besprechen«, hatte er verkündet, und sie war aufgesprungen wie ein Springteufel, so begeistert und überwältigt zugleich, dass ihr beinahe die Tränen kamen. Sie in die Irre geführt ?
    »Ich … « Nein, ihre Stimme versagte ihr den Dienst. Sie schluckte. »Ich … verstehe nicht.«
    »Es ist mir äußerst peinlich.« Er zog ein Taschentuch hervor und tupfte sich damit die Stirn ab. »Bitte, Miss Boyce. Ich entschuldige mich demütigst .«
    Ihr entfuhr ein erstickter Laut. Er entschuldigte sich? Warum
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