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Leute, mein Herz glueht

Titel: Leute, mein Herz glueht
Autoren: Alexa Hennig Lange
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    L eute, ich bin wieder da. Bis heute Morgen war ich noch Stammgast in einer psychosomatischen Klinik, um meine Magersucht auszukurieren. Um ehrlich zu sein: Ich bin mir nicht sicher, ob es geklappt hat. Wie neugeboren fühle ich mich nicht gerade. Ich bin noch immer ganz die Alte, also: leicht melancholisch mit einem Hang zur Selbstzerstörung. Aus den Augenwinkeln beobachte ich Mama, die nervös in meinem Zimmer umherirrt und nicht weiß, was sie sagen soll. Mit psychisch Kranken - wie ich einer bin - ist es schließlich immer ein bisschen kniffelig umzugehen. Die ticken bekanntlich gerne mal aus.
    In der Klinik habe ich solche Amokläufe hautnah miterlebt. Lustig waren die nicht. Eine von den Patientinnen hat sogar versucht, dem Chefarzt Doktor Wilhelm ein Stück aus dem Ohr rauszubeißen, nur weil sie in ihrem Zimmer die Pussycat Dolls nicht so laut hören durfte, wie sie wollte. Unter uns: Ich bin nicht der Typ fürs Ausrasten. Dafür aber meine Schwester Constanze, genannt Cotsch. Sie ist zwei Jahre älter als ich und droht gerne mal mit Selbstmord, um auf sich aufmerksam zu machen. Dann will sie sich von einer Autobahnbrücke runterwerfen oder Mamas gesamten Beruhigungsmittelvorrat auf einmal schlucken. Sie muss einfach immer im Mittelpunkt stehen. Dabei wurde sie vom Leben sowieso schon reich beschenkt. Sie hat wunderschöne blonde Locken, sie ist die Zweitbeste ihres Jahrgangs und die Jungs sind verrückt nach ihr. Trotzdem ist meine Schwester total verzweifelt. Ich glaube, sie sehnt sich nach Ruhm.
    Ich bin ganz normal. Bis darauf, dass ich künstlerisch ziemlich begabt bin. Und weil ich diesen - ich nenne ihn jetzt mal: genialen - Funken in mir trage, muss ich mich therapieren lassen, um genauso behämmert und eindimensional zu werden wie alle anderen. Ich tröste mich damit, dass es auf der Welt schon immer so war: Die Genies wurden in die Irrenanstalt gesteckt, damit der Rest schön mittelmäßig sein konnte, ohne ständig darauf hingewiesen zu werden.
    Jetzt bin ich wieder zu Hause und Mama legt ihren Arm in der hellblauen Bluse um mich. Sie meint mit feierlicher Stimme: »Herzlich willkommen zu Hause.«
    Ich sage: »Ebenso.«
    Was soll ich auch sonst sagen? Merci beaucoup? Das ist Französisch und heißt: Vielen Dank. Mama allerdings spricht nur Latein, die versteht das dann nicht. Also lächle ich lieb und gerade kommt mir alles ziemlich unwirklich vor. So als sei ich plötzlich von den Toten auferstanden oder nach hundert Jahren wieder aufgetaut worden. Manche Leute lassen sich ja wirklich - kurz bevor sie sterben - schockgefrieren, um sich später wieder auftauen zu lassen, wenn die Medizin so weit ist, dass sie ihnen ewiges Leben bescheren kann. Unter uns: Gerade würde ich mich auch gerne schockgefrieren lassen. Eigentlich wollte mich nämlich mein Freund Johannes - den ich sehr liebe - vom Bahnhof abholen. Aber ratet mal, wer nicht da war? Richtig! Johannes. Nur weiß ich leider nicht, warum. Und das macht mich, gelinde gesagt, etwas nervös. Mama übrigens auch. Die befürchtet, ich könnte einen Rückfall erleiden oder so. Darum überlegt sie schon die ganze Zeit, wie sie mich ruhigstellen kann. Um intensiver nachdenken zu können, bewegt sie sich rüber zum Fenster und guckt raus, in die orange gefärbten Rosenbüsche, deren Zweige in der Sonne über die Scheibe kratzen.
    Leute, es wird Herbst. So viel ist mal sicher. Mama kaut angespannt an ihrem Daumennagel herum und meint schließlich: »Vielleicht ist Johannes krank.«
    Und ich sage: »Pissnelke.«
    Mama lächelt milde. »Ach, Schnuffelchen. Nun freue dich doch erst mal, dass du wieder zu Hause bist, und mach dich nicht von diesem unreifen Früchtchen abhängig. Er wird sich schon melden.«
    »Der kann mich mal am Arsch lecken.«
    Ich setze mich auf meine Bettkante, und in mir, da ist eine Wut, dass ich alles kurz und klein schlagen könnte. Das Aufreibendste ist, dass ich Johannes nicht mal erreiche, weil der Trollo sein Handy ausgeschaltet hat. Ich habe ihm natürlich längst auf die Mailbox gesprochen und höflich darum gebeten, dass er mich mal bitte anrufen möchte. Insgeheim stelle ich mir allerdings vor, wie ich ihm mit der Faust voll auf die Nase donnere.
    Mama atmet tief ein, weil auch sie immer freundlich und geduldig bleibt, und meldet: »Na ja, ich decke dann mal im Garten den Kaffeetisch. Constanze kommt sicher gleich von ihrer Hip-Hop-Startanz-AG. Dann können wir Kuchen essen.«
    Ich sage: »Okay.«
    Obwohl ich jetzt schon
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