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Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen
Autoren: Daniel Mezger
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Brunnen. Ada darf ihre Hand ins Wasser tauchen, wir dürfen alle einen Schluck trinken und uns wieder den Kühen widmen. Nun wird ein Sicherheitsabstand eingehalten, Kühe sind doof, so viel ist schon mal geklärt.
    Wir sind nun Kuhexperten. Sind ein wenig enttäuscht. Wir haben uns mehr versprochen, dachten, wir fänden auch kleinere Tiere. Dachten, wir kriegen Zuckerwatte oder dürfen auf Karussells fahren. Haben uns gefreut, dass wir uns in Kälber verlieben würden. Stattdessen stehen wir vor Verkaufsständen, aber statt dass wir uns mit Gürteln mit Kühen beschenken können, können wir nur sehen, was Kühen so um den Hals gelegt wird, womit Kühe so gestriegelt und gebürstet werden. Wir werden nichts davon kaufen, werden uns heute auch keine Tiere anschaffen, denn verkauft werden die Kühe nicht, sie werden bloß gezeigt und prämiert. Gerne hätten wir uns interessiert für die hohen Rücken, die ausgeprägten Beckenknochen, die riesigen, symmetrischen Euter, die runden Bäuche, die in acht Jahren und drei Monaten fünf Kälbern ein Zuhause waren. Wir hätten gerne weiter davon geträumt, in unserer eigenen Scheune ein eigenes dieser Prachtexemplare zu beheimaten. Wir hätten eigene Milch gehabt, eigene Kälber, eigene Butter und eigenes Fleisch aufs Brot. Aber diese Ungetüme sind uns ungeheuer. Wir wollen Land spielen, aber müssen uns nicht übernehmen. »Mit Hunden sollten wir anfangen«, schlägt Ralf vor. »Hunde kann man nicht essen«, weiß Fabian. »Katzen sind viel schöner«, fügt Ada hinzu. Und ein Erwachsener fragt: »Was haltet ihr von Schafen?«
    Schafe sind schön, sind weich, sind flauschig, und Fleisch geben sie auch. Schafe blöken bloß und pflastern keine Hauptorthauptplätze mit braunen Ausscheidungen zu. Schafe kann man scheren und Geschorenes kann man zu Kleidungsstücken weiterverarbeiten, wer Schafe hat, muss nie mehr frieren. Nur hat es keine Schafe hier. Hier werden nur Kühe auf die Hauptplatzmitte geführt, damit Kühe und Bauern preisgekrönt werden können. Preisträger stehen stolz an der kurzen Leine, neben Preisträgerinnen, die ins Sägemehl scheißen, die sich zu freuen scheinen, dass ihnen ein Kränzchen gewunden wird. Blumen auf die Stirn und einen Wimpel unters Ohr: »Herbstviehschau 1. Rang«. Der Wanderpokal ist eine goldene Glocke. Die Wangen des Preisträgerinnenbesitzers röten sich, bis sie glühen. Er gewinnt zum dritten Mal, darf die Glocke behalten, darf sie der Preisträgerin um den Hals gurten. Sie soll den schweren Preis selbst tragen, soll allen zeigen, dass sie es allen gezeigt hat. Sie ist die Größte. Ist die Dickste, hat die höchste Hüfte. Schöner fanden wir die kleinen Kühe, die Rinder und überhaupt die verhuschten Tiere mit den weichen Formen. Große, dunkle Augen haben auch die, aber sie sind nicht so aufgebläht, so kraftstrotzend, so überfüttert, so Übermutter. Fünf Kälber in acht Jahren. »Dann müsstest du jetzt auch schon vier haben, Ada«, sagt Fabian. »Ich bin keine Kuh!«, sagt Ada. »Bist du doch!«, sagt Fabian. »Bin ich nicht!«, sagt Ada. Und Fabian setzt erneut an, aber ein Schlichter unterbricht, fragt, was sie denn lieber wäre. Wir wissen schon, was jetzt kommt, denn wir haben uns vorher schon geeinigt, welche Tiere die schönsten sind: Katzen sind in Ordnung, Hühner kann man ertragen, Kaninchenschlachten kann nicht so schwer sein, aber die besten Tiere sind die Schafe.
    *
    Wir bereiten uns auf den Winter vor. Der Herbst ist schön hier auf dem Land, schöner als damals in der Stadt, finden alle von uns. Eine sitzt gerne vor dem Haus und tut nichts, außer sich zu freuen, dass man keinen Nebel sieht. Ein anderer geht durchs Haus, öffnet die Ofentür, versucht auch, einen Blick in den Kamin zu werfen. Die anderen spielen im nahen Wald Blätterwaten oder Sich-Vergraben. Einer erinnert sich ebenfalls an den Nebel, einer will Blätterburgen bauen und eine macht nicht mit, weil sie verliebt ist, in wen oder was könnte sie gar nicht sagen.
    Der Schornsteinfeger kommt vorbei, fegt den Schornstein zur Hälfte, macht Pause, und bevor er weiterfegt, schaut er sich den Ofen genauer an. Er runzelt die Stirn dabei, sagt, dass er das nicht verantworten könne, sagt, dass er da eigentlich nicht mehr weiterarbeiten müsse, sagt, wir bräuchten einen neuen Ofen. Wir sagen ihm, dass das nicht sein kann, denken, er ist Schornsteinfeger, nicht Kachelofenbeurteiler. Denken, dass wir daran nicht gedacht hatten, als wir das Haus gekauft
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