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Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen
Autoren: Daniel Mezger
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Frühschicht lässt nicht mehr lange auf sich warten. Aber bevor die Taschentuch-Reicherin und Alte-Menschen-im-Bett-Wenderin ihren Mann und die Frau des Dorflehrers auf dem geschenkten Sofa zurücklässt, hört sie sich auch noch die Stelle der Dorflehrersfraugeschichte an, an der ein zweiter Fötus frühzeitig den Ort des Wachstums verlässt. In diesem Teil der Geschichte sind zur Erholung bereits doppelt so viele Bett- und Wohnzimmerecksofaliegetage nötig. Und hier kommt auch die Passage, in der Schulferien um Schulferien geopfert wurden, um Abklärungen zu machen. Der Dorflehrer und seine Frau fuhren zum Hauptort ins Krankenhaus und wurden von da aus in die Stadt geschickt. Der Dorflehrerinnenbauch wurde von allen Seiten untersucht, aus- und inwendig. Zu finden gab es nichts, zu sagen viel. »Hören Sie, gute Frau, so etwas kommt vor, keine Angst, Sie sind noch jung, noch ist es zu früh, sich Sorgen zu machen, machen Sie sich keine Sorgen und nehmen Sie es nicht persönlich, es könnte ja auch am Mann liegen, Translokation heißt das, man könnte das abklären, es gibt Gentests dafür, aber entspannen Sie sich erst mal, fahren Sie aufs Land, legen Sie einfach mal die Füße hoch oder suchen Sie sich eine Ablenkung.«
    Die Frau des Dorflehrers und der Dorflehrer fuhren zurück aufs Land und ins Dorf. Während er unten wieder Kindergeschrei zu dämmen und Kindergehirne zu füttern suchte, setzte sie sich wieder aufs Ecksofa, legte ihre Füße hoch und fand keine Ablenkung. Und dann immer dieses Kindergeschrei! »Die sollen nicht so schreien, die sollen etwas lernen!«, sagt Christine unter Tränen, wir haben unseren Arm immer noch um ihre Schultern gelegt. Wir wissen längst, dass dies ihr Übergang zum Refrain ist. Die Strophen ihres immer gleichen Liedes sind vorüber, der Abend ist spät. Diejenige von uns, die morgen arbeiten muss, muss jetzt dann ins Bett gehen. Sie muss keine Angst haben, dass unser Tröster aus seiner Rolle und über die Frau Dorflehrerin herfällt. Auch wenn die Frau Lehrerin gerne neben dem eloquentesten Mitglied unseres Teams sitzt. Auch wenn er ihre Sorgen jetzt nochmals auf den Punkt bringt und dabei den Arm auf ihren Schultern lässt. Jeder Schritt seiner Argumentation, der Christine von ihrem Sorgenberg wegführen soll, kann von jedem von uns in jedem unserer Zimmer verfolgt werden. Das Haus ist alt, die Wände und die Decken sind dünn. Jedes Schleichen über Schwellen ist hörbar, selbst Kussgeräusche würden zu uns vordringen.
    Unser Redner macht seine Arbeit gut, wir hören es trotz Flüstern im ganzen Haus, sehen es nicht, aber können uns vorstellen, wie die Dorflehrersfrau und Freundin bald wieder lächelt unter den Tränen. Bald streichelt sie die Rednerhand, aber diese wird nicht zutraulicher, tut nichts, außer ein paar Mal aufmunternd die Dorflehrerinnenschulter zu kneten. Denn der Kneter und Redner und Tröster hat keine weitere Streichlerin nötig. Er hat eine Familie, hat eine Frau, die ihn liebt, und er liebt sie auch. Wir sind nicht aufs Land gezogen, damit hier einer sein Ding durchzieht, wir ziehen am selben Strick, haben nicht viel, aber haben mehr als Frau Lehrerin: Wir haben uns. So viel ist dem Sofasitzer klar. Auch wenn er sich seines Charmes bewusst ist. Auch wenn er sich fragt, warum sein Lächeln hier im Dorf mit so viel Argwohn beäugt wird. Warum seine Eloquenz höchstens mit einer weiteren Stumpenwolke beantwortet wird. Oder mit einem »Das macht dann achtzehn fünfzig, bitteschön.«
    Von Christine hört er das nicht. Hier hört er, was wir alle hören, ein »Danke«, ein »Das hat gutgetan«, ein »Kommt doch auch einmal zu uns, wir laden euch alle zum Abendessen ein.« Dann hören wir trotzdem Kussgeräusche, leise, verhuscht und dreifach, die Art, wie man sich hier verabschiedet, wenn man es nicht macht wie die Dorfmenschen, die nie zu uns kommen, aber die wir aus der Ferne gesehen haben. Dort hält man sich Zeige- und Mittelfinger vor die rechte Augenbraue und verschwindet. Oder wenn man aufsteht vom Stammtisch, auf den man Karten geklopft oder mit der Faust gehauen hat, dann haut man mit der flachen Hand gleich noch einmal drauf, im Aufstehen schon. Wir sind nie am Stammtisch, denn wir sind nie im Hirschen, wir schauen nur verstohlen durchs Fenster, bewundern die Eingeborenen und überlegen uns, zu welcher Gelegenheit wir uns einmal zu ihnen setzen könnten. Wir beschließen, noch ein wenig an unseren Kartenspielfähigkeiten zu arbeiten, und da
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