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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone
Autoren: Reski Petra
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    Als ich zwanzig Jahre alt war, setzte ich mich in einen alten Renault vier und fuhr von Kamen nach Corleone. Nur weil ich den Paten gelesen hatte. Auf meinem Bett liegend, unter einer mit Stiefmütterchenmotiven tapezierten Dachschräge. Dort habe ich den Putsch in Chile vorbereitet, unter besonderer Berücksichtigung von Allendes Agrarreform und der Verstaatlichung der Kupferminen, dort lernte ich unregelmäßige französische Verben auswendig und erörterte die Frage des Gewissens und der Schuld am Beispiel von Macbeth. Und zwischendurch las ich den Paten .
     
    Johnny trank die gelbe, brennende Flüssigkeit und streckte dem Don sein Glas zum Nachfüllen hin. Er versuchte sich munter zu geben. ›Ich bin nicht reich, Padrino, mit mir geht es bergab. Du hattest recht, ich hätte meine Frau und die Kinder wegen dieses Luders, das ich geheiratet habe, nie verlassen dürfen. Ich kann es dir nicht verdenken, dass du mir böse warst.‹
    Der Don zuckte die Achseln. › Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Du bist mein Patensohn. Das ist alles.‹
     
    Solche Sätze leuchteten mir ein. Mehr als Macbeth. Wer in einer ostpreußisch-schlesischen Familie aufgewachsen ist,weiß um die Macht von Blutsbanden. Meine ostpreußische Großmutter beherrschte die Familie bis zum letzten Atemzug. Großherzig nach innen und streng nach außen hielt sie den Clan zusammen. Und meine schlesische Mutter unterteilt die Menschheit bis heute in »wir« und »die Fremden«. Einmal sollten wir im Englisch-Leistungskurs die Redewendung »Blut ist dicker als Wasser« erklären. Ich war die Einzige in der Klasse, für die dieser Satz eine Bedeutung hatte. Meine Großmutter hatte sie mir zu verstehen gegeben.
    Ich war das älteste Enkelkind. Einzige Tochter des ältesten Sohnes. Der mit siebenundzwanzig starb – als Bergmann unter Tage. Als meine Mutter sechs Jahre nach dem Tod meines Vaters aufhörte, sich schwarz zu kleiden, wurde sie von meiner Großmutter aus der Familie verstoßen. Da war meine Mutter 33 Jahre alt und ich neun. Fortan ging ich allein zu den Familienfeiern und saß auf dem Ehrenplatz neben meinen Großeltern. Und wenn meine Mutter mich später fragte, wie die Feier verlaufen sei, wie meine Tanten angezogen gewesen und welche Geschenke gemacht worden seien, dann schwieg ich.
     
    Don Vito Corleone war ein Mensch, an den sich alle um Hilfe wandten, und noch nie hatte er einen Bittsteller enttäuscht. Er machte keine leeren Versprechungen, noch gebrauchte er die feige Ausrede, ihm wären von Stellen, die mehr Macht besaßen als er, die Hände gebunden. Es war nicht notwendig, dass er ein Freund des Bittstellers war, es war nicht einmal wichtig, dass man die Mittel besaß, um ihn für seine Mühe zu belohnen. Nur eines wurde verlangt: dass der Bittsteller selbst ihm Freundschaft schwor.
     
    Ehre und Stolz. Würdige alte Männer, die kein Wort zu viel machten. Eine Familie, die stets füreinander da ist. Mafiosi, die keine Frauen und keine Kinder ermordeten. Und die ihre Mütter achteten. So etwas in der Art hatte ich im Sinn, als ich zum ersten Mal nach Sizilien aufbrach. Mit meinem Jugendfreund, den ich liebte, weil er so ephebisch aussah – mit seinen langen blonden Haaren und seinem grazilen Körper. Er hatte Lippen wie ein Mädchen. Wir hatten bereits zusammen Spanien, Frankreich und Griechenland bereist. Griechenland hielten wir für überschätzt, Spanien für hoffnungslos unterdrückt und Frankreich für chauvinistisch, aber sympathisch. Italien hatte mich nie interessiert, außer in Form von Pizza Quattro Stagioni ohne Schinken. Oder in Form von mit Käse überbackenen Miesmuscheln.
    Wir fuhren mit dem Moped immer zu einem Italiener unweit von Dortmund. Dort servierte Giuseppe, der genau so alt war wie ich, ein zarter Junge mit schwarzen Locken. Er half mir aus dem Mantel und bediente mich, als sei ich die Königin von Saba und nicht eine Gymnasiastin, deren Taschengeld nur für eine halbe Pizza Frutti di Mare und ein Glas Frizzantino reichte. Zu Weihnachten schenkte mir Giuseppe einen Panettone, den ersten meines Lebens, und mein Freund sagte: »Ich glaube, er ist in dich verliebt.«
    Meine Kenntnis von Italien beschränkte sich lediglich auf Gastronomisches, ansonsten lockten mich weder Rom noch Florenz, und von Venedig wusste ich nicht mehr, als dass es im Wasser stand. Meine Tanten pflegten ihren Urlaub an der italienischen Adriaküste zu verbringen, seitdem hatte sich Italien für mich erledigt. Bis ich den Paten
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