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Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen
Autoren: Daniel Mezger
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Mitschüler, der ganz unten im Dorf wohnt, am Nachmittag aus einem Gestrüpp oder aus dem Bach. Ist der Ball weg, bleiben noch Spiele wie Verstecken oder Fangen. Auch Prügeln steht hoch im Kurs, wir wehren uns tapfer, verstehen, warum es gegen uns geht, und erzählen nichts zu Hause. Der Dorflehrer soll sich nicht einmischen, denn der Dorflehrer ist ein Verbündeter und wir wollen nicht mächtig sein.
    Herr und Frau Lehrer sitzen am Abend im Wohnzimmer, die Weintrinker schicken die Fußballspieler, die Zurücktreter, die Sich-Verteidiger und Einmaleinslerner ins Bett, machen auch noch die zweite Dorflehrerweinflasche auf. Wir erzählen vom Sommer und wie die Hecke wächst und sagen, dass wir uns auf den Herbst freuen. Wir fragen Freund Dorflehrer, wo man Schafe kaufen kann und Hühner, der Dorflehrer weiß es nicht, wohnt schon lange hier, aber wohnt in einer Wohnung, hat nichts zu tun mit Tieren, hat nur den Kindern beizubringen, wie sie Milchmädchenrechnungen ausführen müssen. Hat nur zu kämpfen mit den depressiven Verstimmungen seiner Frau, sie hält das Leben im Dorf nicht mehr aus, das Leben in dieser Wohnung, den Lärm unterhalb der Wohnung, denn die Wohnung befindet sich oberhalb des Schulzimmers.
    Wird der Lärm zu groß oder werden die Verstimmungen zu stark, klopft sie an die Schulzimmertür, man hört, wie sie leise auf ihren Mann einredet, sieht, wie der Lehrer auf seine Klassen zeigt, wie er hilflose Gesten macht. Manchmal gibt er dann Aufgaben, die wir auch zu Hause hätten machen können, und verschwindet. Manchmal machen wir die Aufgaben, manchmal geben wir uns auch den Rangeleien hin. Oder sprechen miteinander. »Was macht dein Vater?« »Warum macht ihr Heu, wenn ihr keine Tiere habt?« »Warum wollt ihr Tiere, wenn ihr keine Bauern seid?« Zu Hause müssen die Größeren von uns den Kleineren dieselben Fragen beantworten. Warum haben wir Heu gemacht? Sind wir jetzt Bauern? Wann kommen die Tiere?
    Die Stadt vermisst trotzdem noch keiner, denn jetzt kommt der Herbst und mit dem Herbst kommt die Viehschau.
    *
    Jeder von uns hat seine Stärke, jeder kann etwas. Wie in einem Team. »Wir sind ein Team«, sagen diejenigen von uns, deren Stärke die Stärke ist. Sie heißen Vera und Moritz. Wir nennen sie die Entscheider, sie bringen das Geld heim, bringen die weniger Entschiedenen von uns zu Bett, erklären die Welt und das Landleben, das alle von uns verstehen.
    Die Entscheider teilen sich in einen, der reden kann, und eine, die schweigen kann. Wir sind froh um beide Eigenschaften, es braucht jeden von uns im Team.
    Es braucht auch Ralf, den Größten von den Kleineren von uns, er weiß Bescheid, seine Stärke ist die Erinnerung.
    Ralf weiß noch, was Schulfreunde sind, dass es ein anderes Leben gab vor dem Landleben, er weiß, dass man dazugehören muss, und er erinnert sich daran, einmal dazugehört zu haben. Weil er sich immer daran erinnert, der Größte der Kleinen zu sein, erinnert er die Kleineren immer daran, dass er der Größte ist. Er spielt Entscheidungsträger und nimmt Verantwortung von kleineren Schultern, entscheidet, wer auf der Wiese den Rechen schwingen und wer Schiffchen aus Schlaufen befreien darf. Er erklärt den Größeren die Welt der Kleineren und den Kleineren die der Größeren. Wir sind froh, dass er mit uns hier auf dem Land ist, einer muss sich auskennen, muss sich vor die Kleineren stellen. Ralf weiß sich zu wehren in der Schulpause, er gehört auch da zu den Größeren, aber nicht zu den Größten der Größeren, also weiß er auch, dass man sich nicht immer dazwischenstellen kann, wenn die Kleineren drankommen. Sich wehren heißt auch sich nicht einmischen, heißt mitlachen, heißt andere Gegner finden für die potenziellen Gegner, heißt Schwächen finden bei Schwächeren und sich mit den Stärksten verbünden. Ralf erinnert sich an die komplizierten Handschläge, mit denen man sich nach Faustkämpfen beglückwünscht: Erst Handballen an Handballen, den Daumen des Händeschüttlers umfassen, dann nach vorne kippen, Daumen an Daumen, Zeige- und Mittelfingerkuppen übereinander, bereit zum Schnippen, ein kurzes Kräftemessen, bis Zeige- und Mittelfingerkuppen gegen die Handballen schnellen, dann schnell die Faust geballt, Knöchel schlägt gegen Knöchel. Und dann ist der Gruß noch nicht zu Ende, stundenlang wird weitergegrüßt, weiter beglückwünscht. Schultern prallen aneinander, der Nachmittag geht vorbei. Ellbogen werden ineinander verhakt, die blaue Stunde
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