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Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen
Autoren: Daniel Mezger
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keine, die in dieser Gegend zu dieser Jahreszeit nur in Innenräumen zu finden sind.
    *
    Einer von uns muss Geldverdiener sein. Nur zwei von uns müssen deswegen Strohhalme ziehen, beide ziehen den Kürzeren und machen sich auf die Suche nach einer jeweils halben Arbeit. Der Gemeindemann zuckt erst mit den Schultern, als der Möchtegerngeldverdiener ihn fragt, aber schon zwei Wochen später steht er wieder vor dem Haus, Telefon scheint hier nicht gebräuchlich zu sein, wir könnten uns das Geld für den Anschluss sparen und es wieder abmelden. Wir könnten uns bewerben, sagt der Gemeindemann, auf die Stelle des Gemeindeschreibers, die eben frei geworden sei. »Sie können doch schreiben, Sie haben doch studiert?« Die Gemeindeschreiberstelle ist nur zur Hälfte frei, auf der anderen Hälfte sitzt der alte Gemeindeschreiber, der den Teil nicht auch noch verlieren will, wo er eben erst die Kontrolle über seine linke Körperseite verloren hat. Der alte Gemeindeschreiber schreibt mit rechts, da kann kein Schlaganfall etwas dagegen tun, die linke Hälfte der Stelle bekommt der Älteste von uns, er ist noch jung, macht in der halben Zeit die doppelte Arbeit. Der rechte Gemeindeschreiber erklärt, wie es geht und was man darf und vor allem was nicht. Der linke macht die ganze Arbeit und bringt das Geld nach Hause. Es ist wenig, aber wenn wir das Brot selbst backen, reicht es. Und weil wir Zeit haben, backen wir gerne. Kleinere Brötchen, als man sie hier in der Gegend isst, mit weniger Butter darauf und noch ohne Fleisch, denn noch ist der untere Teil der Scheune leer. Erst oben ist es warm und weich. Am liebsten möchte man im Heu übernachten, am liebsten möchte man platzen vor Vorfreude. »Ich will ein eigenes Schaf«, sagen die einen von uns. »Du kriegst dein Schaf«, sagen die anderen.
    Aber erst muss noch die andere Hälfte Geld verdient sein, Linoleum, Täfelung und Betten waren teuer, Schränke gibt es noch keine und erst einen Tisch. Also zieht auch die zweite Erwachsene los, fragt nach, was eine Krankenschwester in so einem Dorf zu tun kriegen könnte. Auf Krankenschwestern scheint man noch weniger gewartet zu haben als auf Studierte, als auf Leute, die den Hirschen meiden. Die Krankenschwester lässt sich nicht beirren, von einem früheren Freund mit Auto leihen wir uns Geld und kaufen ein rotes Mofa. Den Berg hoch fährt es Schritttempo, den Berg hinunter kracht und rattert es, wir befürchten Kolbenbrenner, Tankexplosionen, fürchten uns vor dem Bremsen und kommen doch heil an im Nachbardorf, wo auch Zugezogene alten Menschen den Hintern abwischen dürfen. Die alten Menschen fragen täglich, wer denn die Neue sei, und sie erklärt es ihnen Tag für Tag, rollt sie zur einen Seite, dann zur anderen, wechselt Leintücher und Windeln, wir sind ja auch Letzteres gewohnt, unsere Kleinsten waren ja auch nicht immer so groß wie jetzt.
    *
    Wir spielen Land. Der Sommer geht zu Ende, ein paar von uns müssen zur Schule, sie werden in die richtige Klasse eingeteilt oder werden eingeschult, wir werden zu Elternabenden eingeladen, wir lernen den Dorflehrer kennen. Der Dorflehrer ist auch ein Zugezogener, er lebt seit mehreren Jahren mit seiner Frau im Dorf, steht allein vor mehreren Klassen, lehrt gleichzeitig Lesen, das große Einmaleins und wie die Milch aus den Kühen kommt. Er spricht einen Dialekt, der uns vertraut ist und für den uns die Kinder der Stumpenraucher auslachen. Er wird unser erster Freund. Zusammen mit ihm und seiner Frau sitzen wir im nach frischer Farbe riechenden Wohnzimmer, und die größeren Gastgeber von uns sind froh, dass er Wein mitgebracht hat.
    Wir erzählen ihnen unsere Pläne, sie erzählen uns ihre Sorgen. Wir trinken viel und reden laut, es gibt keine Nachbarn hier, keine, die in Hörweite wären, auch wenn man ihnen bei unseren Einkäufen im Dorfladen ansieht, dass sie sehr genau wissen, was hier besprochen wird, welche Orgien wir feiern. Sie haben uns zugeschaut, als wir nach der Heuernte ein Bier tranken, aber in den Hirschen sind wir nie gekommen.
    Die Kleineren von ihnen werden vor den Kleineren von uns gewarnt, wir lernen unsere Mitschüler von nahem kennen, lernen uns zu verteidigen, lernen stolz zu sein auf unser Spiel. Wir wehren uns gegen Fußtritte und spielen dann doch gemeinsam Fußball. Bis der Dorflehrer die Pausenglocke läutet oder der Ball über den Zaun fliegt und den Abhang hinunterrollt. Wenn wir schnell sind, erwischen wir ihn noch, sind wir langsam, fischt ihn der
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