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Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen
Autoren: Daniel Mezger
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kommt es uns gelegen, dass unser Tröster, unser Verabschieder, unser Zur-Tür-Begleiter jetzt sagt: »Ja gerne, wir kommen gern. Wir könnten ja vielleicht auch mal gemeinsam Karten spielen.«
    Christine kann nicht Karten spielen, aber gerne lässt sie es sich beibringen. Ihr Lehrerehemann hat es einmal versucht, war oberlehrerhaft und scheiterte. Aber unser Redner, unser Zuhörer, Grüßeausrichter, Hinterherwinker scheint geduldiger zu sein, von ihm lernt man gerne, von ihm lässt man sich gerne etwas sagen.
    *
    Am Tag vor der Viehschau sitzen die Jüngeren von uns in der Schule. Alle Klassen schreiben Aufsatz. Der Beruf des Vaters. Alle schreiben voneinander ab. Alle Väter sind Bauern, nur einer kümmert sich um Wald und Bäume.
    Oben sitzt unser Geldverdiener neben der Dorflehrersfrau und lädt sie ein, mit zur Viehschau zu kommen, das reiße sie schon aus den Depressionen, aber sie ist schon rausgerissen, schaut dem Familienvater hingerissen in die Augen, während Ralf ein Stockwerk tiefer schreibt: »Zur Hälfte Gemeindeschreiber.« Während Fabian schreibt: »Meine Mutter hat auch einen Beruf. Sie ist Krankenschwester. Sie hat ein rotes Mofa. Wenn ich größer bin, fahre ich auch Mofa.« Während Ada aus dem Fenster schaut und an die Viehschau denkt und überlegt, was das wohl ist.
    *
    Braunvieh und Fleckvieh steht auf dem Hauptplatz des Hauptortes herum. Der Hauptort nennt sich Stadt, der Hauptplatz ist voll. Nur in der Mitte ist eine freie Fläche, da liegt Sägemehl. Überall sonst stehen die Kühe, stehen Schilder, auf denen steht, welcher Kategorie die Kühe angehören. Wir stehen im Kuhdreck herum, es macht uns nichts aus, wir spielen Land, spielen Viehschau, spielen Kuhexperten. Wir lesen die Schilder, lesen von fünf Abteilungen sowohl beim Braun- als auch beim Fleckvieh, wir versuchen zu verstehen und erklären es uns, als wüssten wir schon seit ewig: Es gibt Rinder, das ist die erste Kategorie, aber eigentlich die letzte, denn Rinder haben noch nichts getan, geben weder Milch noch hatten sie schon mal ein Kalb, hätten sie eins, wären sie in der zweiten Kategorie, dann wären sie Kühe, dann gäben sie Milch. Sie hießen Erstmelkkühe und würden zehn Monate lang gemolken, bis man ihnen zwei Monate Pause gönnte und sie wieder zum Stier schickte. Wir wissen, was das heißt, Groß und Klein sind aufgeklärt, Klein versucht, das Wort »Laktation« zu verstehen, Groß versteht es auch nicht, aber kann schon besser lesen, liest »Milchleistungsperiode«, und wir erklären uns weiter die dritte Kategorie, die mit der zweiten Laktation einhergeht. Hier sind die Kühe schon zweifache Mütter, die Kälber werden zum Schlachter gebracht oder zu Rindern herangezogen, die Milch wird weitergemolken. Oder der Stier kommt nochmals, dann rücken sie auf in die vierte Kategorie, die sich drei- und vierfache Mutterkühe teilen müssen. Am meisten wollen aber die von der fünften und letzten Kategorie beeindrucken. Diese Kühe sind dick und groß und hoffen auf den Siegerkranz. »Fünfte Laktation«, lesen wir und fügen an, was dahinter steht: »Dauerleistungskühe«.
    Auch Dauerleistungskühe scheinen dauernd zu scheißen, scheinen dauernd muhen zu müssen. Es ist ein Lärm und ein Dreck und wir wollen es schon gar nicht mehr so genau wissen, nur ein paar von uns wollen es uns nur noch so gerne vorlesen, wollen uns erklären, dass diese Kühe hier in der Abteilung Nummer fünf bis zum Alter von acht Jahren und drei Monaten mindestens fünf Kälber zur Welt gebracht haben müssen. Und eine gewisse Milchmenge sei auch noch entscheidend, sagt einer, der es wissen muss, den wir aber nicht gefragt haben. Er geht an uns vorbei, tut einheimisch wie wir, aber ist es wohl. Seine Wangen sind geröteter als unsere, und es wird nicht nur der Kaffee mit Schnaps sein, den hier alle trinken, sondern auch der Stolz, in dem sich jeder Kuhbesitzer suhlt. Auch wenn bis jetzt noch keine Preise verliehen wurden. Erst schreiten die Kuhbewerter bloß mit ihren Klemmbrettern die langen Kuhreihen ab. Lange Drahtseile sind gespannt, daran sind kurze Stricke geknüpft. Kuhbauch berührt Kuhbauch, und wir fassen ein paar Kühen ins Gesicht, streichen über die Stirn, bis lange Kuhzungen nach kleinen Händen schlecken, ein kleines Mädchen beginnt zu kreischen und hält die triefende Hand weit von sich, etwas ältere Jungs beginnen zu lachen, erwachsene Menschen würden gerne mitlachen, tun aber erwachsen, und wir suchen gemeinsam einen
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