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Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen
Autoren: Daniel Mezger
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breitet sich aus. Man zieht weitergrüßend an jedem Finger einzeln, die Nacht bricht an. Die Fortsetzung bleibt für uns im Dunkeln, nur Ralf erinnert sich, wie es weitergeht. Ralf ist unser Gedächtnis, Ralf ist Teil unseres Teams.
    Wie auch Fabian, der unser stärkstes Mitglied ist. Er tritt ein für unser Reich, schneidet im Wald mit der Säge, die Fuchsschwanz heißt, wie wir ihm erzählt haben, einen Baum, an dem er weitersägt, als dieser schon längst gefällt ist. Ast für Ast fällt auf den Waldboden, bis nur noch ein langer Stamm übrig bleibt. Mit dem Taschenmesser schnitzt der Starke dem einen Ende eine Spitze. Eine Lanze, mutmaßen wir, eine Palisade, falls er noch weiterrodet. Er fragt uns, ob er ein weißes Tuch haben könne, kann eines haben und knotet es an den Stamm, der jetzt Fahnenstange ist. Die Fahne wird gehisst und Spitze nach unten in den Boden gerammt, eingegraben mitten in der Wiese. Der Wind, der ihr entgegenweht, ist nicht eisig, es ist der warme Herbstwind, der erst mit der Flagge spielt und dann Fabians Statement, Fabians Standarte wieder niederreißt. Wir graben tiefer, versuchen es erneut und gemeinsam. Und jetzt hält unser Wahrzeichen. Die weiße Flagge verspricht Krieg mit denen, die den Krieg suchen. Die Dorfbewohner zucken mit den Schultern, Flaggen haben auch sie, aber keine davon ist weiß. Fabian kämpft für die Gerechtigkeit, notfalls auch mit friedlichen Mitteln.
    Die größte Stärke in unserem kleinen Team hat die Kleinste von uns, die Ada heißt und deren Gabe das Sich-Verlieben ist.
    *
    Reden wir über die Frau des Dorflehrers. Sprechen wir über sie, nennen wir sie Christine oder Frau Lehrerin, obwohl sie keine Lehrerin ist und obwohl ein paar von uns sie lieber nennen würden, wie sie sie heimlich rufen: Heulsuse heißt sie dann. Oder Deprihaufen. Aber das sagen nur die Kleineren von uns, und nur, wenn die Größeren nicht in Hörweite sind. Sie sitzen mit der Frau des Dorflehrers im Wohnzimmer, gut, dass Herr und Frau Lehrer noch ein altes Sofa auf dem Dachboden hatten, zwei Stockwerke über dem Klassenzimmer, jetzt haben wir ein Sofa in der nicht mehr ganz so leeren Stube. Jetzt kann einer unserer Älteren mit Frau Lehrerin auf dem Sofa sitzen, er nennt sie Christine und hört sich mit unserer Schweigerin zusammen Fraudorflehrerinnensorgen an. Unser Redner gibt zu verstehen, dass es verständlich ist, dass es ihr nicht gut geht. All die Jahre in der leeren Wohnung über dem vollen Klassenzimmer, ganz allein ohne nennenswerte Hobbys und eben vor allem ohne Gesellschaft, sprich ohne Nachwuchs, der die zahlreichen Dorfschulkinderstimmen von unten hätte übertönen und oben die nicht ganz so zahlreichen, aber dennoch reichlich vorhandenen Kinderzimmer hätte füllen können.
    Da gab es schon einmal Ansätze, die im Fraulehrerinnenbauch zu wachsen begannen. Schnell kündigte sie beim ersten Anzeichen von neuem Leben ihre Stelle als Kindergärtnerin und stellte sich auf das neue Leben als Mutter ein. Bis sich herausstellte, dass der potenzielle Nachwuchs nicht mehr weiterwachsen wollte und er den Lehrerinnenbauch nach dreieinhalb Monaten frühzeitig und unausgewachsen verließ. Die Frau Dorflehrerin wälzte sich weitere dreieinhalb Monate im Bett, kaufte neue Möbel, die alten wanderten erst auf den Dachboden und jetzt also Stück für Stück zu uns.
    Auf ihrem neuen Wohnzimmerecksofa wälzte Christine sich damals noch ein paar weitere Tage, bis sie beschloss, nun doch wieder zu arbeiten. Aber während der Bauch sich unvorhergesehen vorzeitig geleert hatte, hatte sich die Kindergärtnerinnenleerstelle längst wieder gefüllt, die neue Frau Kindergärtnerin namens Anja hatte keine Lust, den Platz wieder herzugeben und sich in ihr Wohnzimmer zurückzuziehen, also blieb die Frau des Dorflehrers bloß noch das: Frau des Dorflehrers. Sie dachte daran, sich Hobbys zu suchen oder Freunde oder beides, fand beides nicht, kam aber drüber hinweg, ließ die Pille abgesetzt und wurde nach monatelangen verkrampften Versuchen endlich wieder schwanger.
    Wir sitzen mit der Frau des Dorflehrers auf dem Sofa. Wir kennen die Geschichte. Wir wissen, dass Christine jetzt gleich weinen wird. Die Kleineren von uns sollen das nicht verstehen wollen müssen und sind längst ins Bett geschickt worden. Einer von uns legt seinen Arm um die Fraudorflehrerinnenschulter, die andere reicht Klopapier als Taschentücher und schielt heimlich auf die Uhr: Die Spätschicht sitzt noch im Nacken, die
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