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Hoellenfeuer

Hoellenfeuer

Titel: Hoellenfeuer
Autoren: Peter Conrad
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Begegnungen
     
    Die Glocken der Stadt Prag läuteten. Man schrieb das Jahr des Herrn 1348 und es war um eben jene Stunde des Tages, in der die Pest-Toten auf Beschluss der städtischen Ratsherren vor die Türen der Häuser gelegt werden mussten. Von dort wurden sie auf Karren geworfen und vor die Stadt zum Pestanger gebracht, wo sie verscharrt werden konnten.
    Sie hatten es hinter sich, die Glücklichen, während ihre Hinterbliebenen bis auf weiteres in dieser finsteren Welt auszuharren hatten. Noch ein paar Jahre, vielleicht aber auch nur wenige Wochen oder Tage. Der Herr war in diesen Zeiten knauserig mit der Vergabe langer Leben.
    Der Pestkarren quälte sich die engen, gewundenen Straßen der Stadt hinauf. Der klapperdürre Esel schien kaum in der Lage seine eigene Last zu tragen, doch der Stock des Jungen an seiner Seite trieb ihn Meter für Meter weiter. Von den schmutzigen und schlammigen Gassen der Armen der Stadt bis hinauf in die Viertel der Wohlhabenden, wo die ersten Kopfsteinpflaster den Schritt des Tieres unsicher werden ließen, so dass es ein ums andere Mal ins Rutschen geriet und sich die grausige Last auf seinem Wagen auf die Straße zu entladen drohte. Hier oben lagen deutlich weniger Tote vor den Türen als in der Unterstadt und die Männer, die den Jungen und seinen Esel begleiteten, hatten weniger Last mit ihrem Werk. Doch der Tod kam auch hierher und verschonte weder den reichen Kaufmann, noch den Haushalt des Bischofs. Trotz der eisigen Winterkälte stank es bestialisch in den Straßen der Stadt. Die Ausdünstungen der Abfälle und Exkremente, von den Bewohnern der Stadt achtlos auf die Straße geworfen, vermengten sich mit dem fauligen Gestank des schwarzen Todes und dem sauren Geruch der Angst. Ja, die Menschen hatten Angst. Sie verbarrikadierten sich hinter den Türen ihrer Häuser, gleich ob herrschaftlicher Kaufmannspalast oder windschiefe Handwerkerklause, und sie beteten darum, dass der Tod an ihrem Hause vorübergehen möge.
    Das öffentliche Leben der Stadt war fast völlig zum Erliegen gekommen. Man verließ sein Haus so selten wie möglich und sah die wenigen Menschen, die man notgedrungen noch zu Gesi cht bekam, scheel und misstrauisch an. Wer konnte sagen, ob nicht der Nachbarssohn oder der Kaufmann an der nächsten Straße einem den Tod brachte? Wenn es stimmte, dass Angst die Seele tötet, so starb Prag in diesem Jahr nicht allein an der Pest, sondern auch an der Furcht, welche den Menschen die Luft zum Atmen nahm und nur fauligen Gestank zurückließ.
    Soviel Tod und Verzweiflung lässt den Menschen irgendwann abstumpfen und auch der Junge an der Seite des Esels nahm kaum noch wahr, was er tagein tagaus zu tun hatte. Mit stumpfer Miene schritt er neben seinem Tier her, gab ihm von Zeit zu Zeit den Stock und blickte nicht länger auf all den Tod, das Leid und die Verwesung seiner Welt. Ebenso wie die zwei Männer, die ihn begleiteten, wirkte er in den vor Schmutz starrenden Lumpen die er trug, seiner blassen, ungesunden Hautfarbe und dem leeren Blick selbst wie eine Leiche. Wie ein Toter, der schon nicht mehr in dieser Welt weilt, aber auch noch nicht im Jenseits angekommen ist. Wenn die Seele eines Menschen so kalt und leer ist, dass sie die Welt nicht mehr wahrnimmt, vermag sie auch sich selbst nicht mehr zu sehen.
    Und so bemerkte der Junge auch nicht jene dunkle und schattenhafte Gestalt, die aus dem Schutze eines engen Hauseinganges heraus das Werk des Pestkarrens beobachtete.
    Wieder landete eine stinkende Leiche mit dumpfem Geräusch auf dem Wagen. Hastig von den zwei Männern auf den Wagen geschleudert, die sich der Tatsache wohl bewusst waren, dass jede Berührung mit diesen unreinen Körpern ihr Leben verkürzte. Und weiter ging die Fahrt des Wagens, weiter zur nächsten Leiche, die auf der schmutzigen und vereisten Straße abgelegt worden war und davon zeugte, dass sich hier ein weiteres Schicksal erfüllt hatte und eine weitere Seele vor ihren Schöpfer befohlen  worden war.
    Der dunkle Schatten verließ seinen schützenden Hauseingang und folgte dem Karren, sorgsam darauf bedacht, nicht gesehen zu werden.
     
    Einige Stunden später betrat Niklas seine Unterkunft. Er fühlte sich wie durchgeprügelt und auch das letzte Quäntchen Kraft schien seinen Körper verlassen zu haben, ausgesogen von seinem Tagewerk, das in einem Esel, einem Karren und Leichen bestand. Er war kaum noch fähig, seine Augen offenzuhalten. Als hätte es in dieser Welt etwas gegeben, das zu
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