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Der Tanz der besseren Gesellschaft (German Edition)

Der Tanz der besseren Gesellschaft (German Edition)

Titel: Der Tanz der besseren Gesellschaft (German Edition)
Autoren: Eberhard Feuchtenbeiner
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Ein Fund in der Bibliothek
    Schon früh faszinierte mich die Bibliothek, die mein Vater über Jahrzehnte aufgebaut hatte. Dabei wusste ich sie erst später richtig zu schätzen: den großen, hohen Raum mit achteckigem Grundriss, die maßgearbeiteten Regale aus dunkel gebeiztem Eichenholz, die Ohrensessel mit den integrierten Leselampen, und dann diesen ganz speziellen Duft – die Basisnote aus Holz, Leder und altem Buch, die Herznote eine Mischung aller Menschen, die hier je nach Erbauung, Wissen oder Antworten gesucht hatten, die Kopfnote ein subtiler Hauch aus Intellekt und geistiger Betätigung. Es war alles genau so, wie man sich die ideale Bibliothek vorstellte, genau so, wie Bibliotheken stets in Büchern beschrieben wurden; was ich als Kind und selbst als pubertierender Jüngling noch nicht wusste, war der Umstand, dass etwas überaus Seltenes, Kostbares, für die allermeisten Menschen Unerreichbares für mich das Normalste auf der Welt war. Ich wuchs in einem Bücherparadies auf, doch wie Adam und Eva musste ich zuerst in den Schatten treten, um das Licht wahrnehmen zu können.
    Der wahre Grund, warum die Bibliothek meines Vaters zum Grundpfeiler meines ganzen Lebens wurde und ich auf ewig dazu verdammt, Erotik und Sex nicht von Geschichten trennen zu können, hatte weniger mit Büchern an sich zu tun als vielmehr mit einem bestimmten Buch und vor allem dessen Leserin: meinem Kindermädchen. 
    Eines Nachmittags, kurz nach meinem zwölften Geburtstag, verschlug es mich in die Bibliothek; als Kind hatte ich vor diesem Raum stets einen heiligen Respekt empfunden, zumal dort weder gelärmt noch sonstwie vernünftig gespielt werden durfte. Mir wurde viel vorgelesen, ich las später auch selbst gerne, doch verband ich diese Lektüre nicht mit der Bibliothek, die eindeutig der Erwachsenenwelt angehörte. Und so geschah es wohl aus dem Gefühl heraus, ein stattlicher junger Mann und beileibe kein Kind mehr zu sein, dass ich die Pforte zur Welt inmitten unseres Hauses öffnete und mit einem Schritt auf einen Weg geriet, der mich für immer verändern sollte.
    Ich betrat also ohne bestimmte Absicht das "Oktogon des Wissens", wie mein Vater sein Bücherheiligtum zu nennen pflegte, und bemerkte aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Zielstrebig steuerte ich diese Ecke des Raumes an, sprang übermütig auf den dort platzierten Ohrensessel und lugte über die Lehne. Und dort kauerte sie: Hanna, mein Kindermädchen. Sie wirkte aufgeregt, ihre Ohren und Wangen waren gerötet, und sie sah mich mit genau jenem Blick an, den ich an den Tag legte, wenn man mich mit den Fingern im Honigtopf erwischt hatte, bildlich gesprochen.
    Auch sonst war einiges anders als gewohnt: Hanna, sonst stets ordentlich gekleidet, bot ein Bild fortgeschrittener Auflösung. Ihr Rocksaum war hochgerutscht und gab den Blick auf ein Paar schlanker, ungemein attraktiver Beine frei; noch nie hatte ich bis dahin bemerkt, wie schön die Beine einer Frau sein konnten. Konnte man diese überraschende Beinfreiheit vielleicht noch auf den Umstand schieben, dass Hanna sich offenbar hastig in eine kauernde Position gebracht hatte, sprachen die offenen Blusenknöpfe eine unwiderlegbare Sprache: Hier war etwas ganz und gar nicht so, wie es sein sollte, und ganz eindeutig hatte Hanna etwas angestellt. Mein Blick versank, ohne dass ich das Geringste dagegen hätte tun können, in dem Spalt zwischen ihren noch mädchenhaften Brüsten, die ebenfalls mit einem Mal eine gänzlich unerklärliche Wirkung auf mich ausübten und das brennende Verlangen auslösten, unter diese Stoffschichten zu gelangen und zu sehen, was sich darunter verbarg. Zum ersten Mal nahm ich meine ältere Schwester, als die ich die 15-Jährige bislang stets gesehen hatte, mit dem Blick eines "Mannes" wahr. Was ich sah, schien mir die Erfüllung sämtlicher Träume, Wünsche und Sehnsüchte zu sein, die jemals gehegt worden waren.
    "Michael, was machst du denn hier?", sprach Hanna mich nun an, wobei mir die Unsicherheit in ihrer Stimme, die ich doch so gut kannte, nicht entging.
    "Die Frage sollte ich wohl eher dir stellen", gab ich in einem Aufwallen von knospender Männlichkeit zurück. "Warum versteckst du dich hinter dem Sessel? Und warum ist deine Bluse aufgeknöpft?"
    Reflexartig legte sich das Mädchen die Hand vor die Brust, und erst in diesem Moment gewahrte ich das Buch in eben dieser Hand. Der Tanz der besseren Gesellschaft lautete der Titel, und statt in Hannas Ausschnitt blickte ich jetzt
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