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fuer Liebende

fuer Liebende

Titel: fuer Liebende
Autoren: Mela Wolff
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Betrifft: Filmriss
    Von: H. Zimmermann
    Datum: 11 . 12 . 2012 17:14
    Mike,
    ich habe Kopfschmerzen. Nein, das ist noch zu milde ausgedrückt: Ich habe das Gefühl, als würde eine Horde wild gewordener Elefanten durch mein Hirn stampfen, brüllen, trompeten und alles niederwalzen, was sich ihnen in den Weg stellt. Davon abgesehen bin ich heute Nachmittag in meinem Bett aufgewacht, mit nichts weiter als Unterhose und T-Shirt bekleidet und einem Geschmack im Mund, der an tote Mäuse erinnert.
    Was ist passiert?
    Kurze Pause: Kaffee und Aspirin. Die Elefantenherde verzieht sich. Langsam, widerstrebend, kommen ein paar Erinnerungsbilder aus dem Gebüsch geschlichen … Oh weh …
    Du warst hier. Du warst tatsächlich hier. Ich hab’s ja nicht glauben wollen … Sonst hätte ich mich umgezogen.
    Aber es klingelte an der Tür, ich öffnete und da stand ich nun: graue Jogginghose, schwarzes T-Shirt, total verheultes, verquollenes Gesicht. Und Du: schwarzer Anzug, graues Hemd, frisch rasiert, nach irgendwas Holzig-Herbem duftend … Eine Flasche Whisky in der einen Hand und eine Plastiktüte, aus der es durchdringend nach Sojasoße und Ingwer roch, in der anderen. Dazu einen flotten Begrüßungsspruch auf den Lippen: »Wer weder durch Butter noch Whisky geheilt wird, der hat keine Heilung zu erwarten.«
    Woher hast Du gewusst, dass ich seit gestern nichts mehr gegessen hatte? Und vor allem, dass ich Chinesisch mag?
    Und wie kommt es, dass Du so ruhig geblieben bist, als ich mich augenblicklich an Deine Brust warf und Dir hemmungslos Dein graues Hemd vollheulte? (Hab Dir ja noch nicht mal Zeit gelassen, den Whisky oder die Plastiktüte abzustellen.) Oh ja, ich erinnere mich … Wie gut, dass Du mich gerade nicht sehen kannst. Meine Wangen glühen. Knallrot.
    Du hast mich sanft in den Flur geschoben, die Tür hinter uns mit dem Fuß zugekickt und mich erst mal ausheulen lassen. Mike, hiermit nehme ich ganz offiziell alles zurück, was ich jemals über Deine Fähigkeiten, trauernde Hinterbliebene zu trösten, gesagt habe. Allein Deine Gegenwart, ruhig und zuverlässig, hat mich schon ein wenig getröstet. Und vor allem, dass Du mich ernst genommen hast. Keine blöden Sprüche, wie: »Reiß Dich zusammen, Othello war doch nur ein Haustier.« Oder: »Besorg Dir doch einen neuen Kater, gibt genug davon im Tierheim.«
    Dann, als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, hast Du mich ins Badezimmer geschickt, damit ich mich ein bisschen frisch mache. Welch ein Schreck beim Blick in den Spiegel! Wie gut, dass Du an so etwas gewöhnt bist. Ich badete mein Gesicht in kaltem Wasser, bis es sich ganz taub anfühlte, und schmierte mir etwas Make-up auf die blasse Haut. Nun sah ich aus wie ein Zombie nach einem Solarium-Besuch. Nachdem ich Jogginghose und T-Shirt gegen Jeans und Bluse getauscht hatte, wartete im Wohnzimmer die nächste Überraschung: Othello lag mitten auf dem Parkett, auf einem weißen Leinentuch, umgeben von leise flackernden Teelichtern. Auf dem Couchtisch hattest Du bunte Kartons verteilt, aus denen es köstlich duftete, und aus dem Lautsprecher tönte leise »With or without you« von U2. Neben der Couch standest Du, zwei Gläser in der Hand: »In Irland ist es Sitte, den Toten aufzubahren, ihm mit Gesang, Essen und vor allem Trinken, das Abschiedsgeleit zu geben. Santé!«
    Ich war froh, nicht mal im Traum an Wimperntusche gedacht zu haben. Denn ich musste sofort wieder losheulen.
    Nach dem ersten Glas, dessen bernsteinfarbener Inhalt rauchig, torfig meine Kehle hinunterlief und in meinem Bauch ein kleines Feuer entzündete, wird meine Erinnerung bruchstückhaft. Huhn, gebratene Nudeln, Garnelen mit Cashewkernen, mein lachhafter Versuch, mit Stäbchen zu essen (Du hingegen hast das sehr gekonnt gehandhabt).
    Whisky-selige Erinnerungen an Othellos Jugendstreiche (er hat mal den Dackel der Nachbarin verprügelt) und an die zerfetzte Lieblingsspielmaus, die ich ihm als Grabbeigabe auf das Leinentuch gelegt habe.
    Hast Du mir wirklich erzählt, dass in Irland viele Trauernde ihren verstorbenen Angehörigen Handys mit in den Sarg legen – aus Angst, lebendig begraben zu werden? Und dass den Familien, die das machen, nahegelegt wird, es auszuschalten oder den Vibrationsalarm einzustellen? »Denn man will ja schließlich bei einer Beerdigung kein Klingeln aus dem Sarg hören«, hast Du augenzwinkernd hinzugefügt.
    Ich habe gekichert, mich verschluckt, und wieder ein bisschen geheult. Glaube ich jedenfalls. Dann hast Du uns
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