Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen
Autoren: Daniel Mezger
Vom Netzwerk:
die Ärmel seines Armeepullovers hochkrempelt oder wenn er im karierten Hemd im Hirschen sitzt und seine zerkratzten Unterarme präsentiert. Die Uhr, die ihm das Handgelenk abzuschnüren droht, war ein Geschenk der Ehefrau, ob er sie im Unter- oder im Ausland kennengelernt hat, interessiert keinen, denn keine ist so verliebt in ihren Liebsten wie sie, vielleicht weil keine Zweite so viel Zeit hat, das Heim so heimisch einzurichten wie diese Fremde. Sie ist nicht fremd, sie ist ja die Frau des Försters, sie nimmt man gerne auf in der Mitte.
    Wie auch den letzten der Fremden, den man den Jugoslawen nennt, auch wenn er bestimmt anders heißt und auch wenn das entsprechende Land schon länger nicht mehr existiert. Der Jugoslawe gehört einem der Bauern, sagen die Bauern, auch wenn er nur für jenen Bauern arbeitet.
    Im Sommer ist der Jugoslawe irgendwo weiter oben, macht Käse und hütet Kühe, die im Herbst mit ihm und den Kuhbesitzern zurück in die Ställe beim Dorf getrieben werden müssen. Man zieht lächelnd an hupenden Autos vorbei, die Kühe mit geschmückten Köpfen, die Kuhtreiber mit glühenden Gesichtern vom frühen Auf- und vom fröhlichen Abstieg. Und vom Schnaps im Kaffee, der in Feldflaschen herumgereicht wird, bis man endlich wieder unten angekommen ist im eigenen Dorf, wo die Kühe und die Kuhbesitzer wohnen, wo Kühe zurück in Ställe getrieben werden und Kuhbesitzer sich auf den Hirschen freuen, in dem auch der Jugoslawe gern gesehen ist.
    Man hat ihn gerne bei Tisch, lacht gerne mit ihm, im Winter holt er die Geselligkeit nach, die er im einsamen Sommer verpasst hat. Er macht Scherze, ahmt die Sprache der Alteingesessenen lustig nach und kann gar nicht aufhören damit. Der ganze Hirschen freut sich über die Art, wie er Bier bestellt. Der Jugoslawe lacht mit, fühlt sich nicht fremd, auch wenn der Winter kalt ist in dieser Gegend, kälter als in seiner Heimat, man versteht nicht recht, warum er nicht zurück in die Wärme will. Der Jugoslawe will nur ab und an in den Hauptort, wo er noch unverständlicher redet, mit anderen, die ebenfalls einen Sommer lang in der Höhe waren und die ihrerseits die heimische Wärme vermissen.
    Wir treffen den Jugoslawen vor dem Hirschen, wir fragen ihn, wie er heißt, wir fragen ihn, wie er hierherkam, wir fragen ihn, ob es ihm gefällt, wir fragen, ob er hier gut verdient, wir fragen, ob er viele Freunde hat, wir sagen ihm, dass ihm das blaue edelweißbestickte Hemd, das unter seinem grünen Faserpelz zu sehen ist, sehr gut stehe, wir sagen, er solle doch einmal zum Essen kommen. Der Jugoslawe sagt: »Mirko«, er sagt: »Wegen der Arbeit«, er sagt: »Ja«, er sagt, er würde sich über mehr nie beklagen, er lacht, er sagt: »Danke«, er sagt: »Mal schauen.« Dann tippt er mit dem Zeigefinger an die rechte Augenbraue. Auch wenn wir uns selbst noch nicht im Dorfjargon ausdrücken, wissen wir, was das heißt, wir verabschieden uns ebenfalls, sehen Mirko im Hirschen verschwinden und machen uns auf den Weg nach Hause.
    *
    Wir lernen stricken. Die, die es halb können, prahlen mit ihrem Mehrwissen, die eine, die es ganz kann, zeigt sich geduldig, zeigt uns, wie man den Faden um den Finger wickelt, hinten zwischen Ring- und kleinem Finger muss er raushängen, dann muss er nach vorne laufen, zweimal um den Zeigefinger drehen und dann hinüber zur Stricknadel, auf der sich die Maschen reihen, auf der vom Projekt Schal, von der Idee Topflappen bloß eine wilde Ahnung übrig bleibt. Festgezurrt scheint der Faden bei den einen zu sein, viel zu lose baumeln die Maschen bei den anderen. Unsere Geduldigste tut weiter geduldig, Ungeduldigere schmeißen das Gewirr in eine Ecke und holen es bald wieder hervor, als sie sehen und hören, wie die anderen lachen bei der Arbeit, wie sie die Zunge zwischen die Zähne klemmen und jedes geglückte Durchfädeln des Fadens durch die Masche feiern, wie sie ihr Werk ausstrecken und sich selbst loben. Wir vergleichen, wir bestimmen, wer es am besten kann, die Wahl fällt immer auf einen selbst, denn eine strickt außer Konkurrenz, hat keine Angst, dass sie eingeholt wird, auch wenn die Kleineren von uns es deutlich besser machen als der Größte von uns, der am lautesten lacht bei der Arbeit, die keine ist.
    Moritz nimmt sich eine Mütze vor, spricht von Winterabenden und Schlittenfahrten mit eisigem Wind und warmen Ohren und stochert in etwas, das wir anderen »Knäuel« nennen oder »Gewirr« oder »netter Versuch«. Wir lachen ihn aus, was
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher