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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden
Autoren: Eva Menasse
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schwer. Dabei gefiel ihr keineswegs, sich mit der kernigen Krinzinger gemein zu machen. Die gab sicher ein Vermögen für ihre knappen Kostüme aus.
    »Ich möchte gerne anfangen«, sagte sie und versuchte, ihre morgendliche Entschlossenheit wiederzugewinnen. Sie berichtete von der »auch biographisch verständlichen« Entrüstung »einiger nahestehender Personen« über seinen Brief. Dass das Ganze wahrscheinlich von dort seinen Ausgang genommen habe, wenngleich sie selbst das weder angeregt noch gewollt habe. Sie erwähnte den Anruf aus der Partei, er fragte sofort nach dem Namen, sie nannte ihn und wusste im selben Moment, dass das ein Fehler gewesen war. Sie schwamm im Haifischbecken, niemand war harmlos, auch wenn Onkel Bialik glaubte, selbst unter Haien gebe es bessere und schlechtere. »Ich habe jedenfalls«, sagte sie mit einer gewissen Schärfe, »keinen Grund gesehen, den Brief oder seine Formulierung abzustreiten.« Sie habe sie vielmehr zurechtgerückt, davon abgesehen könne sie nur vermuten, dass er Feinde habe, die sich jeden Mist zunutze machten, was aber weder ihre Schuld noch ihr Problem sei.
    Tolomei blätterte in der Speisekarte, winkte dann Joana auf genervte Weise herbei und fragte nach einer Weinkarte. »Werktags normalerweise nur Bier und Cola«, gab Joana zurück, die ihre großzügigen zwei Minuten zu haben schien, und warf die Weinkarte mit Schwung auf den Tisch. Tolomei bemerkte nichts. Er bestellte ein Viertel Heideboden, »oder nein, bringen Sie gleich einen Halben, der wird ja nicht warm«.
    Nun, da sie ruhig war und nur mehr abwartete, fiel ihr auf, dass er braun verfärbte Zähne hatte. Für jemanden wie ihn war das kein gutes Zeichen. Plötzlich stand ihr sein Bild vor Augen, wie er in jenem Sommer gewesen war, so selbstsicher, dass es schockierend war. Schockierend, weil er sich nicht nur selbst für das Maß aller Dinge hielt, sondern weil man ihm das auch zugestand, ohne jede Gegenwehr. Nora sah sich im Klo stehen, die Tinte im ganzen Gesicht, sie war so hysterisch gewesen, dass sie am liebsten die Stirn gegen den Spiegel geschlagen hätte. Und nun saß er da vor ihr, mit seinen schlechten Zähnen, und erzählte gehetzt irgendwelche Geschichten, die um ihr Verständnis warben. Darüber, dass in der Partei einfach keine Einigkeit herzustellen sei, wie man mit dem Sheriff und seinen Wahlerfolgen umgehen solle. Denn die kleinen Funktionäre fänden ja insgeheim gut, was der sage. »Die darf man nicht verprellen, die kleinen Funktionäre«, sagte er, »niemanden darf man verprellen, die nicht und schon gar nicht die Wähler, deshalb muss man immer ganz vorsichtig sein und sich am besten gar nicht mehr bewegen, Preisfrage, wie lang kann man regieren, ohne zu atmen, ich kann das Wort verprellen jedenfalls nicht mehr hören.«
    »Sie haben ja immer gern verprellt«, sagte Nora, und er sah sie erstaunt an. »Na, in Ihren Sendungen damals«, erklärte sie. »Die meisten Gesprächspartner waren doch Idioten«, murrte er, »ein Land mit nur einer Großstadt, man geht nach Wien oder man ist schon dort, weiter geht oder denkt man nicht, so ist es wirklich nirgendwo sonst, wussten Sie, dass die Österreicher europaweit die glühendsten Patrioten sind?«
    Er nahm einen Schluck Wein, ohne ihr auch nur zuzuprosten. Wirklich ein Schatten seiner selbst, dachte Nora und hätte beinahe gegrinst. Da beugte er sich plötzlich vor, rückte nah an den Tisch heran, legte die Arme bis zum Ellbogen darauf, Handflächen nach oben, Fingerspitzen auf sie gerichtet, und sah ihr beschwörend in die Augen. »Wenn ich das Wort Jude verwende«, sagte er, »dann verwende ich das anders, als man es hierzulande tut. Ich habe jahrelang in Amerika gelebt, vielleicht hätte ich ja dort bleiben sollen. Aber hier sind die Leute so gestört, da geht der aggressive Antisemitismus fast ohne Umweg in den unterwürfigsten Philosemitismus über. So bin ich aber nicht. Ich verwende das Wort Jude ganz neutral, und ich glaube unverbrüchlich daran, dass das möglich ist. Leider haben Sie mich missverstanden, sogar Sie, aber Sie sind natürlich auch längst an diesen Diskurs hier gewöhnt. Waren Sie denn auch einmal länger drüben? Ja? Es ist eine Wohltat, nicht wahr?«
    »Hätten Sie vielleicht eine Zigarette?«, unterbrach ihn Nora. »Natürlich, aber gern«, sagte Tolomei, fast bestürzt über seine Unaufmerksamkeit, und präsentierte eine Schachtel Gauloises und ein silbernes Benzinfeuerzeug. So eines hat der Onkel Bialik
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