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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden
Autoren: Eva Menasse
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Pragmatismus hatte ihm auch später noch oft eingeleuchtet. Warum sollte sie jetzt eine Wohnung suchen, die in einem halben Jahr, wenn man sich besser kennen und umso mehr lieben würde, doch nur wieder zu klein wäre? Und eine Wohnung brauchte sie. Zwar hatte der Kindsvater, ein junger Regisseur, ihr die ehemals gemeinsame Unterkunft reumütig überlassen, nachdem er ihr seine Affäre gebeichtet und sich im nächsten Moment aus dem Staub gemacht hatte. Von dem nehm ich nichts, nur ihn aus, das Dreckschwein, hatte jedoch Karin gezischt und die Unterlippe dabei auf eine Art in den Mund gezogen, wie Fritz es später noch oft zu sehen bekommen sollte. Aber damals konnte Fritz, der sich unter einer frisch verlassenen jungen Mutter ein rotgeheultes Wesen vorgestellt hatte, nicht umhin, sie für diese pointierte Lebenswut zu bewundern. Das war endlich eine Frau, die wusste, was sie wollte, kein stirnfransiges Mädchen mit speckigen Taschenbüchern im Bett, wie er sie bisher auf der Uni oder auf Partys aufgegabelt hatte.
    Dass sie schwanger war, hatte Karin ihm erst ein paar Wochen später mitgeteilt, nachdem sie den Mietvertrag unterschrieben hatten. Fritz hatte nichts dabei finden können, in der ersten Nacht gleich geschwängert, da war er fast stolz auf sich. Und für die kleine Judith wäre es nur gut. Die hatte an dem Schock des Vaterwechsels ohnehin zu kauen, das sah er ganz genauso. Der Regisseur, Judiths Vater, war übrigens so übel nicht, aber das hatte Fritz für sich behalten. Karin war da emotional verwickelt, das glaubte er zu verstehen. In den Jahren, als Judith und Paula heranwuchsen – sie sahen wie Zwillinge aus –, hatte Fritz manchmal zwischen Karin und dem Regisseur vermittelt. Es ging immer ums Geld, das ist ja klar in solchen Fällen.
    Oft genug hatte er fast Verständnis für den Regisseur gehabt. Es mochte ja sein, dass der Regisseur insgesamt zu wenig zahlte, und zwar weil er seine Einkünfte nicht korrekt versteuerte. Karin verbreitete dieses Gerücht, wo sie nur konnte. Aber warum Karin dann ausgerechnet wegen einer Winterjacke aus dem Ausverkauf explodierte und nach Rechtsanwälten, Richtern und dem Jugendamt schrie, das verstand eigentlich nicht einmal Fritz. Zugegeben hätte er das nie. Auch nicht, wie amikal seine Vermittlungsgespräche mit dem Regisseur verliefen. Er hatte sich die Lösung immer schon vorher genau überlegt, meistens, indem er herauszufinden versuchte, was Judith sich gerade wünschte. Das schlug er dem Regisseur dann gleich nach der Begrüßung vor, und danach konnten sie in aller Ruhe Rotwein trinken und sich über die Kulturszene austauschen.
    Nach der Winterjackenaffäre war es ein Skitag am Semmering gewesen. Der Wochenendvater lud sogar Paula dazu ein. Das nahm Karin nicht unbedingt den Wind aus den Segeln – bei Dingen des täglichen Gebrauchs spart er an seinem einzigen Kind, nur um sich dann als toller Abenteuerpapi zu inszenieren! –, beendete aber immerhin ihren juristischen Aktionismus: Der Brief an den Rechtsanwalt lag noch ein paar Tage auf ihrem Schreibtisch, bis er verschwand, und zwar nicht im Briefkasten.
    Ansonsten war der Regisseur pflegeleicht. Er verbrachte jedes Jahr einen schönen Sommerurlaub und oft auch einen Winterurlaub mit seiner Tochter, er nahm sie verlässlich jedes zweite Wochenende zu sich, er setzte sie nur äußerst sparsam seinen wechselnden Gefährtinnen aus, und besonders, als Judith in die Pubertät kam, schien sie das geheimnisvolle Nebenleben mit ihrem Vater zu genießen. Man hörte, dass Vater und Tochter einander am provençalischen Strand Beckett und Brecht mit verteilten Rollen vorlasen.
    Wie gesagt, Streit gab es eigentlich nur ums Geld. Als Karin etwa plötzlich beschloss, dass Judith den Namen ihres Vaters zugunsten von Fritz’ Namen aufgeben solle, war Fritz angenehm überrascht, wie wenig Widerstand der Regisseur leistete. Karin hatte Fritz vorgeschickt. Auftragsgemäß erklärte er, dass Judith es in der Schule leichter haben würde. Man erspare ihr eine Stigmatisierung als Scheidungskind, und sie selbst habe schon oft danach gefragt, warum sie eigentlich anders heiße als der Rest der Familie – hier übertrieb Fritz ein bisschen. Und also geschah es, obwohl der Regisseur ein ganz merkwürdiges, irgendwie flackerndes Gesicht gemacht hatte, wie Fritz später Karin berichtete, die daraus eine etwas ordinäre Befriedigung zu ziehen schien.
    Als Fritz sich ›dieser Hilda‹ gegenüber in die Bank zwängte, streifte er
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