Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und bitte für uns Sünder

Und bitte für uns Sünder

Titel: Und bitte für uns Sünder
Autoren: Susanne Hanika
Vom Netzwerk:
Kapitel 1
    Es war Frühling geworden nach einem kurzen, milden Winter. Die
Sonne hatte noch wenig Kraft, doch sie legte sich warm auf die braunen
Baumstämme und kitzelte die roten Feuerwanzen aus dem Boden. Sie kamen stets in
solchen Massen heraus, dass wir sie früher fast schon zwanghaft aufgeklaubt und
in Marmeladengläser gesteckt hatten. Eine nach der anderen. Anneliese sagte bei
jeder »igitt«, packte sie dann aber doch. Und aufhören konnten wir damit
überhaupt nicht mehr.
    Ich fand die Feuerwanzen jedes Jahr von Neuem niedlich. Sie sahen
aus, als würden sie für immer Fasching feiern, mit ihrem roten Kleid und den
lustigen schwarzen Punkten. Und sie sahen alle gleich aus. Wie das der liebe
Gott wohl machte, fragte ich Anneliese einmal. Dass jeder Punkt gleich
aussieht.
    Â»Ah, geh«, sagte Anneliese daraufhin. »Der wird doch des ned alles
einzeln malen. Der hat doch bestimmt eine Schablone.«
    Das leuchtete mir ein. Ich kniete weiter im Gras, bekam nasse,
schmutzige Knie und wunderte mich wie jeden Frühling, dass es so warm und der
Boden trotzdem nass und kalt sein konnte.
    Als Kinder waren Anneliese und ich die besten Freundinnen gewesen.
Sie hatte zwar gewisse Schwierigkeiten mit lebenden Insekten, sagte ein klein
wenig zu oft Scheiße – zumindest damals, vor zwölf Jahren – und konnte auch die
Gerüche nicht riechen, die ich rieche. Aber wir waren trotzdem Freundinnen.
    Die Weiden streckten ihre samtig grauen Kätzchen in den blassblauen
Himmel, während die Meisen anmutig in ihnen herumturnten und dabei laut ihr
Zizipee riefen. »Zizipee, zizipee, mein Zeh tut weh«, hatte Großmutter das für
mich übersetzt.
    Wenn uns die Schattenfinger wieder ins Haus trieben, war die Luft
voller Frühlingsgerüche. Als hätte die Erde zu atmen begonnen, um uns allen
wieder Leben einzuhauchen. Als hätte das frische Gras, das sich noch im
braunen, toten Laub versteckte, seinen eigenen Geruch. Als würden die Amseln,
die in dem toten Laub pickten, mit jedem Schnabelhieb den warmen Frühlingsduft
herauswirbeln.
    Genauso war es auch jetzt. Ich ging in den Garten, sog die
lebendige Frühlingsluft tief in meine Lungen und sah mich ein wenig um. Vor
unseren Beeten blieb ich stehen. Seit Großmutter immer vergaß, was sie machen
wollte, sah unser Garten nicht mehr aus wie früher. Im Herbst hatte ich einen Motivationsschub
bekommen und die Beete umgestochen. Ich hatte keine Lust zum Jäten gehabt und
beschlossen, dass es vorteilhafter aussah, wenn man vom Unkraut nur die Wurzeln
sah. Ich hatte die Erdschollen einfach umgedreht, sodass das Unkraut nun unter
der Erde lag. Inzwischen hatte sich aber zartes Grün darübergebreitet.
Ehrenpreis kroch über meine sorgsam verdeckten Unkräuter und hielt seine
filigranen blauen Blüten in die Frühlingssonne. Früher hätte ich Großmutter
erklärt, dass diese wunderschönen Blümchen keine Unkräuter sind. Disteln und
Brennnesseln, okay, aber nicht diese niedlichen kleinen Ehrenpreise. Inzwischen
fand ich auch, dass es sehr unkrautartig aussah. Ich überlegte mir, ob ich die
Schollen nicht wieder umdrehen sollte. Vielleicht hatten sich die Unkräuter auf
der Unterseite inzwischen in Humus verwandelt. Aber dieser Gedanke löste ganz
grässliches Unbehagen in mir aus. Damals war ich voller Energie gewesen – eine
Art Therapie gegen meinen Ärger auf die Polizei. Vielleicht aber auch gegen meinen
Ärger auf mich selbst. Ich hatte im letzten Jahr nämlich zweimal eine Leiche
gefunden, und das wollte ich mir eigentlich schleunigst wieder abgewöhnen. Und
gerade eben hatte ich so eine Vorahnung, dass es ein schlechtes Omen gewesen
wäre, die Schollen wieder umzudrehen. Sozusagen das Zeichen dafür, dass der
gesamte Ärger des letzten Herbstes wieder auftauchen würde.
    Die Schneeglöckchen blühten in dicken Büscheln, und die gelben
Winterlinge gaben schon den Geist auf. Ich blieb noch ein wenig vor unserem Rasen
stehen. Rasen war nicht unbedingt das adäquate Wort für das, was in unserem
Garten wuchs. Grünfläche vielleicht. Wenn man nämlich die Augen zusammenkniff,
war es definitiv grün. Schaute man aber genauer hin, war es eher eine
Moosfläche, die an exponierten Stellen einige Grashalme durchließ.
    Ich stand noch immer mit leicht zusammengekniffenen Augen vor
unserer Grünfläche, als ich hörte, wie hinter mir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher