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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden
Autoren: Eva Menasse
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früher auch gehabt, dachte Nora, Nina, Nina, vot kartina.
    »Richard Bialik meint, der Job in der Partei tut Ihnen überhaupt nicht gut«, sagte sie, als sei sie seine nörgelnde Mutter, »er sagt, Parteiarbeit ist Gift für Idealisten und umgekehrt.«
    »Da hat er recht, ganz recht«, stimmte Tolomei zu, »aber das hat sich ja jetzt bald erledigt.«
    »Fliegen Sie deswegen etwa raus?«, fragte Nora.
    »Nein, nein, ich fliege nicht«, rief er belustigt, »niemand fliegt, wir bleiben am Boden, ich werde nur irgendwohin verschoben, und, unter uns, der Minister ist ja schon länger missliebig, wir beide sind einfach zu links für diese Zeiten, man dankt für die Verdienste, aber man braucht uns nicht mehr, es wird sich schon eine Verwendung finden, man verwendet sich ja immer, wenn nicht hier, dann da.«
    »Dann könnten Sie ja wieder ein Kabarett gründen«, schlug Nora vor und wusste nicht, warum sie das tat, warum sie sich immer noch auszuliefern versuchte.
    »Ein Kabarett«, fragte er, »ach so, nein danke, auch davon hab ich für mein Leben genug.«
    »Ich wollte Ihnen jedenfalls nur sagen«, sagte Nora und gab Joana unauffällig ein Zeichen, dass sie zahlen wollte, »mir tut das Ganze leid. Ich wollte doch nur ein kleines Honorar, eher symbolisch, ich kenne nämlich zufällig den Neffen vom Olpe, und der hat mir erzählt …«
    »Der junge Olpe«, sagte Tolomei und nickte, »ein guter Mann. Er hat für unsere Jubiläums-Ausstellung sensationelle Dokumente aus Budapest besorgt, das hätten Sie sehen sollen. Ein großer Erfolg. Aber das Fernseharchiv diesmal, das war ihm zu minder.«
    »Zu minder«, wiederholte Nora stupide und zog ihr Portemonnaie hervor. »Ein Bier«, sagte sie zu Joana.
    »Nein, lassen Sie mich das übernehmen«, rief Tolomei, »müssen Sie wirklich schon gehen?«
    »Was war mit Olpes Neffe?«, fragte Nora.
    »Der hat als erstes nach dem Honorar gefragt«, sagte Tolomei, legte seine Brieftasche auf den Tisch und schüttelte den Kopf, »ich hab gesagt, vierhundert kann ich dir anbieten, da hat er gesagt, dafür setz ich mich doch nicht tagelang in dieses deprimierende Archiv.«
    »Dreifünfzig«, sagte Joana und sah Nora fragend an.
    »Danke, ich zahle selbst«, sagte Nora zu Tolomei, stand auf und gab ihm nur aus Gewohnheit die Hand. »Eine starke Frau«, sagte er, und plötzlich zerriss es ihm das Gesicht in dieses spukhafte Lachen, das Nora schon einmal gesehen, aber wieder vergessen hatte, »eine starke Frau, das sagt er immer, der alte Bialik.« Und schon sah Tolomei wieder aus, wie man ihn kannte, eine krude Mischung aus Schönling und Schlitzohr, nur eben älter und schwächer, und nicht mehr so rasend attraktiv.
    Er lacht nicht oft, dachte Nora, als sie die Tür öffnete und aus dem ›Blaubichler‹ hinaus auf die verschneite Straße trat, und das ist auch besser so.

Das Buch
    Auf Gott können wir längst verzichten. Doch haben wir damit auch die Sünde abgeschafft? Anhand der alten Lehre von den sieben Todsünden widmet sich Eva Menasse den großen Themen der Literatur: Liebe und Hass, Schuld und Vergebung. Denn die Menschen verfehlen einander auch heute aus denselben Gründen wie vor Jahrhunderten.
    Ein Familienvater ist zu träge, um gegen Töchter und Exfrau ein eigenes kleines Glück durchzusetzen. Ein junges Liebespaar vermeidet die Kompliziertheiten der Sexualität, indem es den einen zum Pfleger, die andere zur Kranken macht. Ein Mann verpasst sein ganzes Leben, weil er sich keine Schwäche leisten will. Und ein geschiedenes Paar bekämpft einander bis ans Grab des gemeinsamen Kindes.
    Leidenschaftlich und liebevoll geht die Autorin mit ihren Figuren ins Gericht. Hinter den Fassaden, da, wo die Sünden sind, steckt schließlich der menschliche Kern.
    Und so wie die einzelnen Todsünden einander berühren und ineinander übergehen, tun es auch diese Geschichten. Orte und Figuren tauchen auf und kehren wieder, Zusammenhänge erschließen sich quer durch die Kapitel. Mit der ihr eigenen Mischung aus Poesie und Komik erschafft Eva Menasse ein großes Ganzes.

Die Autorin
    Eva Menasse, geboren 1970 in Wien, begann als Journalistin bei „Profil“ in Wien. Sie wurde Redakteurin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, begleitete den Prozess um den Holocaust-Leugner David Irving in London und schrieb darüber ein Buch. Nach einem Aufenthalt in Prag arbeitete sie als Kulturkorrespondentin in Wien. Sie lebt seit 2003 als freie Schriftstellerin in Berlin. Ihr Debütroman „Vienna“
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