Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden
Autoren: Eva Menasse
Vom Netzwerk:
Oma-Fußboden. Er hatte bestimmt einen Eames-Chair, wie alle reichen Spießer, die keine sein wollen. Er ließ sich gerade von der Krinzinger scheiden, solche Sachen hatte sie natürlich von Ela, wahrscheinlich sah er deswegen so mitgenommen aus. Die Krinzinger war kaum älter als Nora, aber blond und apfelbackig, eine stadtschlank gehungerte Landmaid. Sie moderierte die Spätnachrichten, die hätte er also auch ins Archiv schicken können, schließlich hatte sie ebenfalls eine Mitarbeiternummer. Aber wenn sie sich gerade scheiden ließen … Nora sah eine Weile aus dem Fenster, eine Zigarette unangezündet in der Hand. Draußen schneite es. Dann steckte sie die Zigarette in die Schachtel zurück. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Sie stellte einen Topf mit Wasser auf den Herd, zündete die Flamme an und überlegte, ob sie sich kindisch oder cool fühlen sollte.
    Das Kuvert ging über dem Dampf problemlos wieder auf, es wellte sich nur ein bisschen. Sie ging zurück an den Schreibtisch, schrieb in die Spalte »Honorar/Grund« »historische Recherchen Fernseh-Archiv, Umfang ca. 8   h«, und daneben, wo die Summe hingehörte, ein dickes Fragezeichen, dazu einen Pfeil, der an den Rand verwies, und dort »Auftrag Herr Tolomei«. Nun hatte sie das schöne Formular beinahe so misshandelt wie früher ihr Lateinbuch, es fehlte nur die Blumengirlande rundherum. Die acht Stunden waren untertrieben, sie hatte viel mehr Zeit mit der Sucherei verbracht, aber das hielten Laien bestimmt für unglaubwürdig. Beim zweiten Zukleben musste sie mit Uhu nachhelfen, die Gummierung war nicht mehr stark genug. Wie machen das die Geheimdienste? Nora war trotzdem mit sich zufrieden.
    »Woher kennst du eigentlich den Tolomei?«, fragte sie Richard Bialik, den sie am Nachmittag bei ihrem Vater antraf. »Ach, der Tolomei«, seufzte Bialik, »das war einmal ein vielversprechender junger Mann!«
    »Du meinst, er hat nicht gehalten, was er versprochen hat?«, fragte Nora.
    »Streng und gnadenlos wie immer«, neckte Bialik sie. Seit sie erwachsen war, war das sein Lieblingsspiel. Bialik war der Meinung – und was er meinte, verbreitete er überall –, dass Noras »sanftes Äußeres« nur eine »besonders perfide Tarnung« sei, denn in Wahrheit sei sie »knallhart, härter als wir alle, und da werden wir uns noch einmal in Acht nehmen müssen«. Nora hatte es längst aufgegeben, zu widersprechen. Widerspruch bestärkte ihn nur. Natürlich hatte sie sich eine Weile lang gefragt, wie er darauf kam, da sie selbst sich nicht als hart, eher als unentschlossen, ängstlich und feig empfand. Erst hatte sie vermutet, er habe Schwierigkeiten, sich an den Umstand zu gewöhnen, dass sie erwachsen war und gelegentlich eine eigene Meinung äußerte, im Gegensatz zu dem stillen, lachbereiten Kind, das ihm alle seine Geschichten geglaubt hatte, und seien sie noch so phantastisch. Doch inzwischen war sie viel zu lange erwachsen, und sie hegte den Verdacht, er wolle ihr vielmehr sagen, wie sie eigentlich sein sollte. Als wäre diese Neckerei, die klang wie ein überspitzter Tadel, in letzter Konsequenz wirklich einer. Sie hatte sich deshalb verordnet, diesem Prügel auszuweichen, wie oft er ihn ihr auch hinwarf.
    »Jetzt sag schon, was ist das für ein Mensch«, drängte sie, und da sagte ihr Vater plötzlich: »Ein Antipath.« Bialik stritt das überrascht ab. Tolomei habe sich immense Verdienste in der Entwicklungshilfe erworben, die sein geheimes Steckenpferd sei. Unmengen für Afrika gesammelt, aber nicht für die herablassende Almosen-Gießkanne, sondern für eigenständige Projekte, Ziehbrunnen, alternative Anbaumethoden, mobile Krankenstationen. »Seit wann interessierst du dich für Ziehbrunnen?«, fragte Noras Vater. Im Normalfall hätte sie ihn für seine destruktive Ironie getadelt. Diesmal tat sie ihr gut. Doch Bialik fuhr ungestört fort, Tolomei zeige sich bestimmt nicht immer von der besten Seite, aufbrausend, temperamentvoll, aber hochintelligent, wirke vielleicht manchmal arrogant, aber kein leichtes Leben, wahrlich kein Glück mit den Frauen, dazu eine äußerst prekäre Stellung in der Partei, aber gut, Parteien sind natürlich Gift für Idealisten. Und umgekehrt. Summa: Ein hochempfindlicher Kerl, der den Zyniker spielt, »aber glaub mir, Max, er ist einer von uns«.
    Nora wünschte, sie könnte sicher sein, dass Bialik irgendwo auch über sie so glühend sprach.
    »Einer von uns«, fragte Noras Vater abwehrend, »wie soll denn das möglich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher