Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden
Autoren: Eva Menasse
Vom Netzwerk:
sein?«
    Ein paar Tage später hatte Nora ihren Film fertiggeschnitten. Sie zog den Anzug an, den sie sich vom Saarbrückener Preis gekauft hatte, fönte sich fluchend die Haare mit Schaum und fuhr in den Sender. Inzwischen machte ihr das, was sie früher in Panik versetzt hatte, geradezu Spaß: Ihr kleiner Schneideraum überfüllt mit kritikbereiten Redakteuren, denn bei freien Mitarbeitern wie ihr meinte man, besondere Sorgfalt walten lassen zu müssen. Nora hätte gewettet, dass manche Angestellte viel schlampiger arbeiteten, schon weil sie noch so viel anderes zu erledigen hatten, Konferenzen, Verwaltungsarbeit, Kollegen. Außerdem hatten sie, im Gegensatz zu ihr, nichts zu verlieren, obwohl sie ständig lauthals um ihre Jobs bangten.
    Nora nahm vorne am Pult Platz, spielte den Film ab und las ihren Text. Dann wartete sie auf die üblichen Einwände, denn noch nie war irgendetwas abgenommen worden, ohne dass sie nicht zumindest einen kleinen Auftrag zum Umschneiden bekommen hatte. Inzwischen legte sie solche unsauberen Stellen wie Köder aus, damit sie ihr ließen, was ihr gefiel.
    Ihre Position war nicht ganz einfach. Je mehr Erfolg sie mit ihren Regiearbeiten hatte, desto eifersüchtiger schauten ihr die Redakteure auf die Finger. Kunst gibt’s hier nicht, schienen sie zu sagen, während sie sie insgeheim beneideten und sich von ihren eigenen Ehen und Krediten gewürgt fühlten.
    Doch diesmal lief alles glatt. Der Redaktionsleiter lobte ausgerechnet den O-Ton eines Historikers, den Nora für maximal schnittgefährdet gehalten hatte. Der Historiker sprach darüber, welche spezifischen autoritären Strukturen sich aus der Monarchie über den Austrofaschismus bis heute gehalten hätten und deshalb Österreich von Deutschland unterschieden, mit dem es immer verglichen werde. Zum Entsetzen einiger Mitarbeiter sagte der Chef noch etwas Drastisches über den aktuellen Zustand des Landes, bevor er Nora verschwommen anlächelte und sich mit einem wichtigen Termin entschuldigte. Das wäre doch nicht nötig gewesen, dachte Nora und sah ihm nach. Man konnte beinahe hören, wie irgendjemand im Raum die Chef-Bemerkung gewissenhaft im Kopf notierte, zur unfreundlichen späteren Verwendung.
    Als sie nach Hause kam, stand ein Paket mit einer bunten Schleife am Küchentisch. Paul war zurück. Er öffnete eine Flasche Wein, stieß mit ihr an und lachte, als sie das Geschenk auspackte. Es enthielt zwanzig Päckchen Espresso und zwanzig Liter Haltbarmilch. Es käme nie wieder vor, versprach Paul und küsste sie aufs Ohr. »Niemals ›immer‹ oder ›nie wieder‹ sagen«, antwortete Nora.
    Sie verbrachten den Nachmittag mit der Weinflasche im Bett. Nora plapperte vor sich hin, sie wollte einen Kurzfilm aus all den sogenannten braunen Ausrutschern machen, im Stil von Martin Arnolds zehn Jahre altem »Andy Hardy«, rhythmisch-ruckartiges Vor und Zurück, ein wüst geschnittener Word-Rap, bis man es nicht mehr aushält, Ju-den-raus, Miss-ge-burt, Dreck-am-Steck-en, Da-ham-statt-Is-lam, A-sy-lan-ten-Kri-mi-ne-ser-an-stän-di-ger-klei-ner-Mann, das alles unterlegt mit zusätzlich hirnerweichender Musik. Nora kicherte, schon ein bisschen beschwipst, »das wird ein Welterfolg, aber nur im Ausland«.
    Paul holte erst abends die Post herauf. Als sie das Parteilogo auf dem Umschlag sah, brüstete sie sich noch. »Ich hab ihm nämlich eine Rechnung gestellt«, sagte sie und wedelte mit dem Kuvert vor ihrem nackten Leib, »mal schauen, was sie gerne geben.« Doch sofort wünschte sie sich, sie hätte den Brief in einem unbeobachten Moment erhalten, hätte ihn selbst aus dem Postkasten gezogen. Hätte sie ihn verschwinden lassen? Das nicht, natürlich nicht, aber sie hätte sich sammeln können und, so langsam, wie sie manchmal war, irgendeine Haltung annehmen, anstatt schutzlos dazuliegen, unter den kritischen Blicken ihres gerade wieder wohlbekleideten Freundes, der immer alles schon vorher gewusst hatte.
    In dem samtigen Ton, den sie kannte, aber in ungewohnter, fast betulicher Ausführlichkeit erläuterte Tolomei ihr sein »Befremden« über ihre »nicht abgesprochene Honorarforderung«. Gewiss würden für mancherlei Recherchen Honorare gezahlt, aber nur dann, wenn Fachleute und Experten ihr »eigenständig erarbeites Wissen, etwa Forschungsergebnisse, zur Verfügung stellen«. In ihrem Fall habe er, ermutigt von Richard Bialik, um einen »Gefallen« gebeten, da sie ohnehin im Fernseharchiv »hauptberuflich tätig« sei. Und schließlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher