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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden
Autoren: Eva Menasse
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hochintelligenter Entwicklungshelfer ihr nicht einfach zweihundert nebbiche Euro überweise und das Ganze sei erledigt? »Leider geht es längst um mehr«, sagte Bialik bekümmert und versuchte, sie damit zu beruhigen, dass er ihr in der Sache ja absolut recht gebe. Bedauerlich nur, dass sie solche Dimensionen angenommen habe, die Sache, durch Tolomeis Ungeschick, auch das gebe er durchaus zu. »Dafür kann ich doch nichts«, sagte Nora erschöpft, »ich habe den Brief nur bekommen.«
    Am nächsten Morgen, nach einer unruhigen Nacht, war sie entschlossen, das unwürdige Theater zu beenden. Dieser Plan duldete keinen Aufschub. Niemals sollte Richard Bialik behaupten können, dass sie aus Eigensinn einen geopfert habe, den er für anständig hielt. Das wog schwerer als alle Schelte ihres Vaters, ihren Geschäftssinn betreffend. Zu Paul sagte sie, Tolomei sei wahrscheinlich nur ein armes Schwein, der mit der Macht auch die Contenance verliere; Bialik täte am besten daran, ihn vor sich selbst zu schützen. Auf jeden Fall sei er kein Gegner, der lohne. »Dein gutes Herz«, neckte Paul, aber immerhin versuchte er nicht, sie abzuhalten. Nur dass er sie bewundere, konnte er sich nicht verkneifen zu sagen. Sie nahm ihm auch das übel.
    Den Vormittag über saß sie nackt, nur mit einem Handtuch über den nassen Haaren, am Küchentisch und wählte so lange Tolomeis Handynummer, bis er abnahm. Dann überfiel sie ihn mit ihren paar vorbereiteten Sätzen: Sie habe erfahren, dass sein »wirklich unglücklich formulierter Brief« Kreise ziehe. Anders, als es für ihn wahrscheinlich aussehe, habe sie damit nichts zu tun. Sie schlage daher pragmatisch vor, sich noch einmal zu treffen und die Sache aus der Welt zu schaffen.
    Er verhielt sich zum Glück ganz still. Als Joker, damit er ihr Angebot nicht zurückweise, führte diesmal sie ihrer beider »langjährige Freundschaft mit Richard Bialik« ins Treffen, als müssten sie sich schon um seinetwillen versöhnen. Sie ekelte sich dabei ein bisschen vor sich selbst. Aber vor allem fand sie, das geschähe den beiden nur recht, diesen Künstlern im Verfertigen von vermeintlich familiären Strukturen, einer Mafia von Gutmenschen, die dennoch eine Mafia bleibt.
    Er habe sie natürlich längst anrufen wollen, sagte er schließlich und klang dabei fast devot, seit Tagen schreibe er an einem weiteren Brief an sie, bringe ihn aber zu keinem befriedigenden Ende. Wie sehr er es doch zu schätzen wisse, dass nun sie von sich aus …! Nora machte ihren Vorschlag. Er bat um eine spätere Uhrzeit, er sei mit dem Minister in der Provinz. Sie willigte ein, dann lag noch ein ganzer zäher Tag vor ihr.
    Sie hatte Tolomei ins ›Blaubichler‹ bestellt. Sie hatte keine Lust mehr, sich von edlen Bars, in denen die Regierung verkehrte, verunsichern zu lassen. Sie kam eine halbe Stunde zu früh und nahm einen strategisch günstigen Platz ein, mit Überblick. Joana, die kraushaarige Wirtin, nickte ihr zu. Sie bestellte ein großes Bier. »Ein beruflicher Termin«, erklärte Nora, als Joana ihren Aufzug musterte, und bekam mit hieb- und stichfestem Missmut zurück: »Seit wann hast du denn einen Beruf?«
    Dann saß sie da und wartete. Kann man einem Menschen sagen, man halte ihn nicht für einen Antisemiten? Nora fand ihre Mission mit einem Mal bizarr. Wenn Tolomei seiner eigenen Dummheit wegen von irgendwelchen Gegenspielern gestürzt würde, könnte auch sie das nicht verhindern. Sie hatte einen Brief bekommen und diesen Brief ihrem Vater gezeigt. War sie deshalb an irgendetwas schuld? Nein, sie würde sich darauf gar nicht einlassen. Sie würde ihn unbefangen nach seinem Budget fragen, wie er eigentlich damit umgehe und nach welchen Kriterien, sie würde Olpes Neffen erwähnen und ihn zwingen, die Sache endlich beizulegen. Ohne Belehrungen, ohne Moral, sondern mit Geld. Diese Sprache, so hieß es doch immer, verstünden alle. Nur sie selbst schien sie so schlecht zu sprechen. Sie schwor sich, von nun an immer als erstes nach dem Geld zu fragen, egal, worum es ging.
    Tolomei sah noch schlechter aus als beim letzten Mal. Er hielt ihre Hand einen Moment zu lange fest, sagte dazu »freut mich, freut mich«, dann setzte er sich, und sie bildete sich ein, er röche ein wenig nach Alkohol, nicht nach frischem, so wie sie vielleicht nach Bier, sondern nach dem süßlichen, den manche schon in den Poren herumtragen. Zur beruflichen Schlangengrube noch die Scheidung, dachte sie, die jungen Frauen machen ihm das Leben
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