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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden
Autoren: Eva Menasse
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hatte alle diese Petitionen in den letzten Jahren unterschrieben. Es wäre komisch gewesen, einmal nicht dabei zu sein, vor allem, wo die Sache von der »Demokratischen Initiative« kam, in deren Vorstand Richard Bialik saß. »Was muss eigentlich noch passieren, damit sich hier etwas ändert«, tobte Paul, und Nora arbeitete wieder hart daran, sich nicht persönlich gemeint zu fühlen. Am Anfang ihrer Beziehung hatte sie sich abends beim Einschlafen manchmal vorgestellt, sie seile sich in einem leuchtend bunten Anorak vom Donauturm ab, weil Paul von ihr erwartete, dass sie allein, mit einer Wahnsinnstat, das Land auf einen Schlag verändere. Was sie da, an den Karabinern hängend, eigentlich tat, war ihr nicht ganz klar. Aber dass es mindestens mit ihrem Tod enden müsste, das nahm sie doch an.
    Als sie gemeinsam den Sheriff im Fernsehen sahen, der Kreisky lächelnd ein großes politisches Vorbild nannte, dem er sich nicht zuletzt darin verwandt fühle, dass auch Kreisky die abwegigsten und verletzendsten Vorhaltungen gemacht worden seien, man denke nur an die im Grunde doch zutiefst antisemitische Mär vom jüdischen Selbsthass, warf Paul einen Hausschuh gegen den Bildschirm. »Jetzt spiel dich nicht auf«, fauchte Nora, »wenn du so leidest, dann schau nach Sachsen.«
    Die Herkunft der alten Aufnahmen war gar kein Thema gewesen. Plötzlich waren die Bilder da, zwei konkurrierende Tageszeitungen rühmten sich gleichermaßen, sie als erste gebracht zu haben, doch woher sie eigentlich kamen, blieb ungefragt. Die Partei, für die Josef Tolomei arbeitete, gab sich moralisch zutiefst empört, doch wenn man genau hinhörte, waren es vor allem die Jugendorganisationen und einige jüngere, als rebellisch bekannte Abgeordnete. Der Minister, dessen Sprecher Tolomei war, äußerte sich gar nicht. Es fiel auch nicht in sein Fachgebiet, und er hatte zur Zeit viel in Brüssel zu tun. Der Bundeskanzler erklärte, sich nicht in die Belange anderer Parteien einmischen zu wollen, betonte aber, dass nirgends Platz für rassistisches und antisemitisches Gedankengut sein dürfe. Der Bundespräsident rief bei der Eröffnung einer Gartenbaumesse ohne konkreten Bezug dazu auf, dass jeder sich seiner Vergangenheit stellen müsse, und fügte rätselhafterweise hinzu: »Ein jeder kehre vor seiner eigenen Tür.«
    Nora schickte die Rechnung des Botendienstes an die Parteizentrale und kam sich lächerlich vor. Neunzehn Euro, das hätte sie ebenso gut von der Steuer absetzen können. Aber das wäre nicht professionell gewesen. Einige Tage später kam aus dem Büro des Ministers per Post das Formular »Barauslagenempfänger und/oder Honorarempfänger«, zurück, Name, Adresse, Geburtsdatum, Sozialversicherungsnummer, Kontonummer, internationale Kontonummer (EU-Richtlinie!), Unterschrift; nur für das Religionsbekenntnis und die sexuellen Vorlieben interessierten sie sich nicht. Nora füllte das Formular gewissenhaft aus, schrieb in die Spalte »Barauslagen« den Botendienst und die Summe, heftete den Beleg, den ihr die Sachbearbeiterin zurückgeschickt hatte, was sie als ein wenig unfreundlich empfand, an das Formular, schob alles in das vorfrankierte Rücksendekuvert und klebte es zu. Dann ging sie in die Küche und wollte Kaffee machen. Doch waren Milch und Kaffee aus, beides auf einmal. Unter der offenen Kaffeedose klemmte ein Zettel mit »Sorry!!!« von Paul, der im Morgengrauen eine Dienstreise angetreten hatte. Dazu ein Zehn-Euro-Schein. Wie oft hatte sie ihm gesagt, dass sie das Geld nicht brauche, sie brauchte die »Sachwerte«! Daher kommt nämlich der Begriff. Realwirtschaft. Geld hab ich auch. Aber irgendwer muss das Zeug ja besorgen, und das bin doch meistens ich. Sie beschloss, sich nicht zu ärgern. Sie hatte noch Zigaretten, das immerhin. Über dem Herd hing ein Filmplakat, auf dem Jean-Pierre Léaud hinter einem Auto hervor mit ausgestrecktem Arm auf etwas zeigt, als könnte er aus seinem Finger schießen. Das Plakat hatte sie, sie überlegte, seit zehn Jahren, länger als Paul. Es war schon ein wenig mitgenommen, vielleicht hätte sie es rahmen sollen. Daneben, im Lichthof, gurrten Tauben. Nora mochte ihre karge Wohnung. Sie liebte den blauweiß gefliesten Küchenboden, der bestimmt so alt war wie das Haus selbst. Als sie einzog, hatte sie ihn unter drei Schichten Linoleum und PVC geborgen. Tolomei wohnte in Döbling, das wusste sie jetzt. Er hatte bestimmt keine Küche, die in einen Lichthof schaute, und keinen abgeschlagenen
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