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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden
Autoren: Eva Menasse
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immer für die Archivbenutzung, doch befand sie sich eigentlich schon damit in einer Grauzone. Aber jetzt war sie dabei, in alten Aufnahmen zu stöbern, mit der klaren Absicht, einen politischen Skandal zu inszenieren. Keine Frage, niemand hatte ihn so verdient wie dieses gewissenlose, rechtsradikale Arschloch, das sich auf seinen Wahlplakaten zum Robin Hood stilisierte. Deshalb nannten ihn seine Gegner den Sheriff von Nottingham. Sie hatte Paul darin zustimmen müssen, dass auch das wieder eine typische Verharmlosung sei. Alles, auch das Ekelhafteste, wurde diesem ironischen Sound einverleibt und damit seines Schreckens beraubt. Einer mit Spitznamen ist einer von uns. Man sollte ihn einfach den Neonazi nennen, war Pauls Meinung, jeder Journalist und jeder politische Gegner sollte das. Doch das war üble Nachrede, längst durchjudiziert. Schade. Deshalb der Sheriff. So sagte das halbe Land. Die andere Hälfte sagte »der Schorsch«.
    Wie frisch gerahmt stand Krischanek genau in der Mitte des Schiebefensters und sah ihr entgegen. Seine linke Hand lag auf der Schachtel mit den Bändern, die sie vor ein paar Stunden telefonisch bestellt hatte. Der Krischanek ist hundertprozentig ein Sheriff-Wähler, dachte Nora und wunderte sich, dass sie erst jetzt darauf kam. »Begrüße Sie, Herr Krischanek«, sagte sie und ging zum Angriff über, »jetzt hab ich wirklich genug vom oh’zwickten Kanzler, jedenfalls vorläufig.« Danach die Geschichte von der geplanten, aber noch nicht beschlossenen Dokumentation. »Sie wissen ja«, sagte sie mit dem landesüblichen Ton subalterner Gereiztheit, den sie, wie sie bemerkte, sofort traf, »die Herrschaften da oben können sich ja nie entscheiden.« Krischanek biss an. Er grinste und fragte sie flüsternd, ob etwas dran sei, dass der Sessel des Hauptabteilungsleiters Information höchstens noch dreibeinig sei, er habe so etwas gehört. »Sie hören hier doch sowieso am meisten«, schmeichelte Nora, lächelte noch einmal, schnappte ihre Bänder und floh. Das war die erste Lüge.
    Die zweite Lüge bestand darin, Paul am selben Abend zu sagen, dass sie mit der Arbeit für Tolomei noch gar nicht begonnen hatte. »So eilig wird es ja wohl nicht sein«, sagte sie und sah ihm herausfordernd ins Gesicht. Paul nickte zufrieden. Doch als er trotzdem noch einmal damit anfangen wollte, warum Tolomei niemand anderen, sondern ausgerechnet sie, und sie natürlich auch immer bei jeder Bitte, und warum sich da außerdem noch der Bialik, unterbrach sie ihn. »Das war sicher ein Fehler«, gab sie zu ihrer eigenen und Pauls Überraschung zu, »aber da ich ihn nun einmal begangen habe, müssen wir irgendwie versuchen, damit weiterzuleben.« Dann lachten sie beide, Paul tröstete vergnügt, »es gibt wirklich Schlimmeres«, und Nora fühlte sich so herrlich fremd und souverän, dass sie ohne weitere Umwege miteinander ins Bett gingen.
    Ein paar Tage später rief Tolomei an. Nora hatte bereits Stunden mit den Bildern von freiheitlichen Parteitagen und Neonazitreffen zugebracht; sie hatte Einminüter über irgendwelche Wiederbetätigungsprozesse ein Dutzend Mal in Zeitlupe durchlaufen lassen und sich dabei auf Publikum und vermeintliche Passanten konzentriert. Sie betrachtete inzwischen jeden Träger einer schwarzen Lederjacke, den sie in der U-Bahn sah, mit Vorbehalt, und ihr war tatsächlich letztens im Park ein Pärchen aufgefallen, das Lonsdale-Kleidung trug. Irritierenderweise schob es einen Kinderwagen. Kleinfamilien-Neonazis? Sie war froh, dass sie noch nicht von Glatzen und Runen träumte.
    Nora hatte den Stammtisch im ›Blaubichler‹ ausgelassen und beim wöchentlichen Squash-Termin eine beginnende Verkühlung vorgeschützt; an beiden Abenden arbeitete sie zu Hause an einem groben Schnittplan für die Austrofaschismus-Doku. Wenn sie Paul nach Hause kommen hörte, drehte sie das Licht ab, schob ihr Notizbuch im Dunkeln vorsichtig unters Bett und rollte sich ein, wie früher, als Kind, wenn sie zu lang gelesen hatte.
    Doch gefunden hatte sie bisher nichts, und deshalb log sie auch Tolomei an. »Sie müssen wirklich entschuldigen«, sagte sie und hoffte, ihre Stimme klänge ganz kühl, »aber ich muss erst eine größere Arbeit fertigstellen, und Ihre Bitte ist ja nicht gerade unaufwendig.« Sag etwas von einem Recherche-Honorar, flehte sie innerlich, dann wäre ich auch vor mir selbst legitimiert. Doch Tolomei setzte ihr lieber mit wohlformulierter Unklarheit zu, mit einer Art Schäkern unter Spionen. Er
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