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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden
Autoren: Eva Menasse
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versicherte, dass er wisse, was er von ihr verlange. Aber ebenso wisse sie, was davon abhängen könnte. »Sie sind doch so ein kluges Mädchen«, sagte er plötzlich, beinahe bedauernd, »das alles liegt jetzt ganz in Ihrer Hand.« Dann legte er auf.
    Zwei Tage später gab ihr Krischanek einen Tipp. Wenn sie später darüber nachdachte, war sie davon überzeugt, dass er nur helfen wollte. Er schien zu ahnen, wonach sie suchte. Das war unheimlich genug.
    Der Zusammenhang war ein völlig anderer, es war nichts Rechtes und kein Prozess, keine Demonstration, kein zerstörter Gedenkstein und keine Aschermittwochsrede in einem Bierzelt im Süden. Alles lag noch viel länger zurück. Es war ein Wahlkampftermin im obersteirischen Extal, der schwerkranke Bundeskanzler widerwillig auf einem geschmückten Marktplatz. Trachten, Fahnen, sogar Blumen, obwohl erst April war. Nora sah einen Beitrag der Abendnachrichten. Nach einigen Originalsätzen Kreiskys, der stockend sprach, als würde ihn das alles nicht mehr interessieren, erwähnte der Sprecher »unösterreichische Pöbeleien am Rande der Veranstaltung«. Nur für eine Sekunde waren klein und an der Seite ein paar Figuren zu sehen, die in Richtung Tribüne schrien und gestikulierten, einer davon konnte mit Phantasie der junge Sheriff sein. Nora sah die Szene Kader für Kader durch, doch es war zu wenig und zu klein. Das war wieder nichts oder zumindest fast nichts. Selbst wenn sich nachweisen ließe, dass der Sheriff, der ja aus der Steiermark stammte, unter den Störern war, zeigte der Beitrag nicht genug. »Unösterreichische Pöbeleien«, was sollte das sein? Wahrscheinlich etwas Rassistisches, Antisemitisches, aber wenn man sich damals so nobel zurückgehalten hatte, das Unösterreichische auch deutlich zu zeigen, dann gab es so viele Jahre später schon gar nichts mehr zu skandalisieren.
    Nora beschloss aufzugeben. Sie hatte schon zu viel Zeit in diese sinnlose Suche investiert. Sie legte sich ihre Worte für Tolomei zurecht. Dabei wurde sie langsam wütend. Wie war er überhaupt darauf gekommen, dass es noch etwas geben musste? Wenn er einen Hinweis hatte, warum war er dann nicht konkreter? Nein, Tolomei wollte einfach nichts unversucht lassen, er wollte alles probieren, solange er die Arbeit nicht selber machen musste. Paul hatte recht, sie ließ sich ausnutzen. Sie würde eine Rechnung stellen, Recherche-Honorar, die genaue Anzahl der aufgewendeten Stunden, doch dann ein Pauschalpreis, damit er sah, das war ein Freundschaftspreis, aber kein Freundschaftsdienst. Sie waren nicht befreundet. Und sein Arbeitgeber, die Partei, hatte ja offenbar für solche Dienstleistungen Geld, siehe Olpes Neffe.
    Sie stapelte die Kassetten in die Schachtel und brachte sie zurück an Krischaneks Fenster. »Aus der Doku wird wohl nix?«, fragte er. Sie wollte sich wortlos abwenden. Doch hatte er den Nerv getroffen, ohne dass sie nachher sagen konnte, ob seine Absicht gewesen war, sie zu entmutigen oder, im Gegenteil, anzustacheln. »Gibt’s aus dem Jahr Mutterbänder?«, fragte Nora zurück. Krischanek zuckte mit den Schultern. »Irgendwas wird’s schon geben«, murmelte er, »auf irgendwelchen Umatic-Formaten.« »Schauen Sie mir trotzdem schnell nach?«, bat Nora, die ihn noch nie um etwas gebeten hatte. Aber bis sie irgendwo im Haus einen freien Computer fand, hätte sie sich längst klargemacht, wie sinnlos das Ganze war. Fünfundzwanzig Jahre alte Mutterbänder! Sie wäre, wie sie es sich vorgenommen hatte, nach Hause gefahren und hätte Tolomei angerufen, um ihm zu sagen, dass seine gewiss idealistischen, aber äußerst vagen Ideen anderen Leuten nur eine Menge Arbeit machten.
    Aus dem Jahr 1983 gab es achtzehn Mutterbänder, die Hälfte davon kulturelle Themen, außerdem ein langes Mock-Interview über mehrere Kassetten. Und ein Band hieß sehr unbestimmt »Wahlkampf«. Krischanek schüttelte den Kopf, als sie sagte, sie wolle dieses Wahlkampf-Band umkopiert haben, ob das irgendwie möglich sei. Sie blieb einfach stehen und starrte ihn an. Sie suchte nach einem Druckmittel, einem Argument, nach etwas, was sie noch sagen konnte, doch plötzlich reagierte Krischanek, offenbar allein auf ihr Starren. »Kommen S’ morgen wieder, Fräulein«, sagte er und schob das Fenster zu.
    Am nächsten Tag war er nicht da, normalerweise freute sich Nora darüber. Die Frau, die ihn vertrat, überprüfte erst umständlich Noras Mitarbeiternummer, dann schob sie ihr die Schachtel zu, in der eine
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