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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus
Autoren: Sophie Hannah
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Eine Woche zuvor
1
    S AMSTAG , 17. J ULI 2010
    Ich liege auf dem Rücken, mit geschlossenen Augen, und warte darauf, dass Kits Atmung sich ändert. Dabei täusche ich selbst genau die langsamen, tiefen Atemzüge vor, die ich von ihm hören möchte, damit ich wieder aufstehen kann – einatmen und Pause, ausatmen und Pause –, und versuche mir einzureden, dass es eine harmlose Täuschung ist. Bin ich die einzige Frau, die so etwas macht, oder spielt sich das in Häusern überall auf der Welt so ab? Wenn ja, dann bestimmt aus anderen Gründen, normaleren Gründen – eine Ehefrau oder Freundin, die fremdgeht, könnte so etwas machen, um unentdeckt ihrem Liebhaber eine SMS schicken zu können oder heimlich noch ein letztes Glas Wein zu trinken, obwohl sie bereits fünf intus hat. Normale Dinge. Ganz normale Dinge, die jemand unbedingt tun zu müssen glaubt.
    Keine Frau auf der Welt hat sich je in der Lage befunden, in der ich mich zurzeit befinde.
    Das ist doch albern. Du befindest dich in keiner Lage, abgesehen von der, die du dir zusammenfantasiert hast. Man nehme: Zufälle und Wahnvorstellungen.
    Aber ich kann mir einreden, was ich will, es hilft nichts. Deshalb muss ich es auch überprüfen, um mich zu beruhigen. Es ist nicht verrückt, es zu überprüfen, verrückt wäre es, auf diese Gelegenheit, es überprüfen zu können, zu verzichten. Und wenn ich mit eigenen Augen gesehen habe, dass nichts zu finden ist, kann ich das Ganze vergessen und akzeptieren, dass alles nur in meinem Kopf stattgefunden hat.
    Ach wirklich?
    Es sollte nicht mehr allzu lange dauern, bevor ich loslegen kann. Normalerweise schläft Kit schon Sekunden, nachdem das Licht gelöscht wurde, tief und fest. Wenn ich bis hundert zähle … aber ich kann nicht. Ich schaffe es nicht, mich auf etwas zu konzentrieren, das mich nicht interessiert. Wenn ich es könnte, wäre ich auch in der Lage, das Gegenteil zu tun und Bentley Grove 11 aus meinen Gedanken zu verbannen. Werde ich das je können?
    Während ich warte, übe ich schon mal für die Aufgabe, die vor mir liegt. Mal angenommen, ich würde uns nicht kennen – was würde dieses Schlafzimmer über Kit und mich verraten? Riesiges Bett, ein gusseiserner Kamin, identische Nischen zu beiden Seiten des Kaminsimses, in denen unsere beiden identischen Kleiderschränke stehen. Kit mag Symmetrie. Als ich vorschlug, als Ersatz für unser normales Doppelbett das größte Bett zu kaufen, das wir finden konnten, meldete er Bedenken an, weil dann nicht genug Platz für unsere identischen Nachttische bleiben könnte. Ich erklärte mich bereit, auf meinen zu verzichten, aber Kit sah mich an, als wäre ich eine anarchistische Agitatorin, die auf die Zerstörung seiner wohlgeordneten Welt aus sei. »Man kann nicht auf der einen Seite des Betts einen Nachttisch stehen haben und auf der anderen Seite nicht«, erklärte er. Schließlich kamen beide weg. Nachdem er mir das Versprechen abgenommen hatte, es niemandem weiterzuerzählen, sagte er, so unpraktisch es auch sei, sich hinunterbeugen zu müssen, um Buch, Uhr, Brille und Handy unters Bett zu legen, ein Schlafzimmer, das »nicht richtig« aussähe, würde ihn noch weit mehr irritieren.
    »Bist du sicher, dass du ein waschechter Hetero bist?«, neckte ich ihn.
    Er grinste. »Entweder ja, oder ich tue nur so, damit jemand jedes Jahr für mich meine Weihnachtskarten schreibt und zur Post bringt. Du wirst die Wahrheit wohl nie erfahren.«
    Bodenlange, cremefarbene Seidenvorhänge. Kit wollte Jalousien, aber ich setzte mich durch. Seidenvorhänge im Schlafzimmer, das war mein Wunsch, seit ich klein war – eins dieser »Sobald ich meine eigene Wohnung habe«-Versprechen, die ich mir selbst gegeben hatte. Und im Schlafzimmer müssen Vorhänge bis auf den Boden reichen, das ist meine Vorstellung davon, wie etwas sein muss, damit es richtig aussieht. Ich nehme an, jeder hat mindestens eine solche Regel, und wir alle halten unsere eigenen Regeln für vernünftig und die der anderen für völlig absurd.
    Über dem Kamin hängt eine gerahmte Stickarbeit, die ein rotes Haus zeigt, umgeben von einem grünen Rechteck, das den Garten darstellen soll. Anstelle von Blumen wird das geschlossene Grün des Rasens von gestickten Worten in Orange aufgelockert: »Melrose Cottage, Little Holling, Silsford«. Darunter steht in kleineren gelben Buchstaben »Connie und Kit, 13. Juli 2004«.
    »Aber Melrose ist überhaupt nicht rot«, pflegte ich regelmäßig zu protestieren, bevor ich es
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