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0562 - Mordnacht in Paris

0562 - Mordnacht in Paris

Titel: 0562 - Mordnacht in Paris
Autoren: Jason Dark
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Der Bucklige kannte den Weg, um auf den hohen, wuchtigen Kuppelturm zu gelangen, der bei klarem Wetter einen herrlichen Blick über Paris garantierte, nach Westen hin über den Friedhof von Montmartre hinweg bis hin zum Eiffelturm.
    Dafür hatte der Bucklige in dieser Nacht keine Augen. Er stemmte sich gegen die Böen, die immer wieder gegen den Kuppelturm schlugen.
    Der Bucklige wußte schon, an welcher Stelle er seinem Leben ein Ende setzen wollte. Den Blick nach Westen gewandt, ein Abschied von dieser Stadt, die Menschen fressen konnte.
    Er hatte eine schmale Rinne gefunden, in die er seine Füße stemmte. Für einen Moment ruhte er sich aus. Sein Gesicht glich einer gezeichneten Monstermaske. Weit aufgerissen war der Mund. Der Wind drang in die Falten der Haut, die wie Gräben wirkten, und schleuderte auch das Haar in die Höhe, als wollte er es mit wütenden Bewegungen vom Schädel reißen. Er drang durch die alte, viel zu dünne Kleidung bis auf die Haut und trieb dem Selbstmörder das Wasser in die blassen Augen.
    Der Nachthimmel über Paris glitzerte fast hell. Tausende von Lichtern sorgten dafür.
    Am Abend hatte es geregnet. Wind und trockene Luft hatten die Pfützen schnell verschwinden lassen. Nur mehr ein paar Flecken lagen wie Tücher auf dem Gestein der alten Kirche. Dem Herzen Jesu war die Kirche geweiht und aus weißem Marmor errichtet worden.
    Man bezeichnet sie auch als die weiße Basilika. Wer zu ihr hochwollte, mußte über die in dieser Nacht leeren Treppen gehen. Ihre hellen Abgrenzungen wirkten, aus der Höhe gesehen, wie dünne, lange Knochen in der Dunkelheit des winterlichen Grases, das den Park wie ein Teppich bedeckte.
    Der Bucklige rutschte weiter. Sein Atem pfiff. Häufig wischte er über seine Augen. Er hörte auch den Herzschlag. Laut und trommelnd kam er ihm vor.
    Die letzten Aussichtsfenster an der Rundung hatte er längst hinter sich gelassen. Wie ein gehetztes Tier bewegte er sich auf dem Dach entlang, das an einigen Stellen sehr glatt war. Zweimal war er schon abgerutscht und hatte sich erst im letzten Augenblick fangen können.
    So kämpfte er sich weiter vor, hörte das Knattern seiner alten Kleidung und dachte daran, daß er an seinen Mitmenschen verzweifelt hatte.
    Quasimodo zwei, so hatten sie ihn genannt. Er war von ihnen lächerlich gemacht worden; sie hatten ihn getreten, manchmal sogar bespuckt. Selbst die älteren Mitbürger des Viertels hatten ihn, den Verwachsenen, mit Verachtung bestraft.
    Von den jungen Mädchen war er verspottet worden, nur die alte Dirne Cilly hatte sich seiner erbarmt. Vielleicht deshalb, weil sie ein ähnliches Schicksal ertragen mußte.
    Für viele war Paris die Stadt des Lebens, das Zentrum Frankreichs, Himmel und Hölle zugleich.
    Er beschränkte sich auf die Hölle.
    Wieder duckte er sich, als der Wind besonders hart so urplötzlich gegen ihn peitschte. Er hörte ihn heulen und wimmern. Klagelieder ausstoßend fuhr er um den Kuppelturm. Die Seelen unzähliger Geister schien sich in ihm zu vereinigen.
    Mit der rechten Schulter schabte er über das Dach. Vogelmist klebte darauf, getrocknet und feucht. Manchmal stank das Zeug wie ein Plumpsklo.
    Quasimodo suchte eine bestimmte Stelle, von der er springen wollte. Von diesem Ort nämlich konnte er die Laterne im Park sehen, die er sich als Ziel ausgesucht hatte. Er würde sich abstoßen, hinein in das Licht fliegen und schließlich mit zerschmetterten Knochen auf dem Boden liegenbleiben.
    Spüren würde er bestimmt nichts. Er fürchtete sich nur vor dem Absprung, dem langen Fall. Der Aufschlag interessierte ihn nicht.
    Die Parklaterne lockte ihn wie ein in der Unendlichkeit schwebendes Licht. Er drehte sich, damit er sich mit dem Rücken gegen die Kuppel drücken konnte.
    Das Licht lockte ihn. Er wußte, daß er, um es erreichen zu können, sich sehr viel Schwung geben mußte. Er würde Kraft einsetzen müssen, um die Hindernisse und Vorbauten überfliegen zu müssen.
    Noch einmal schaute er zum Himmel. Wolken strömten wie flache Sandbänke von Westen nach Osten. Dazwischen schimmerte hin und wieder ein ferner Stern.
    Was lag dahinter?
    Der Bucklige wußte es nicht. Vielleicht das Reich, das seine Seele aufnehmen würde. Der Herrgott hatte mit den Verzweifelten und den Geknechteten Erbarmen, so hatte der Bucklige es stets gehört. Er hoffte, daß er auch mit ihm Erbarmen haben würde.
    Tief und auch weit unter ihm schimmerte ein helles und trotzdem dunkles Band, das Paris in zwei Hälften
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