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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden
Autoren: Eva Menasse
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sei er davon ausgegangen, dass sie »für die gute Sache« ein wenig »ihrer gewiss knappen Zeit« opfern würde. Es läge klar im »Interesse einer jüdischen Filmemacherin« wie ihr, wenn durch solche »Aufklärungsarbeit«, wie sie durch seine Partei geleistet werde, »die Verhältnisse in diesem Land durchleuchtet und eines Tages hoffentlich verbessert« würden. Jedenfalls bitte er sie »innig«, in Zukunft Honorarfragen »etwas früher anzusprechen«, um solche »für alle Seiten unerfreulichen Missverständnisse« zu vermeiden. Mit freundlichen Grüßen.
    »Das mit der guten Sache hätte er besser nicht schreiben sollen«, flüsterte Nora, die sich gleichzeitig beschmutzt und schuldig fühlte, als habe sie um diesen Tritt gebettelt.
    »Das mit der jüdischen Filmemacherin hätte er besser nicht schreiben sollen«, sagte Paul, worauf Nora hätte wetten können. »Ach, scheiß auf das Persönliche«, wiegelte sie großzügig ab, dabei war das nur ein Trick, um Paul anzustacheln. Den Rest des Abends ließ sie sich von seinen feurigen Reden gegen die völlig verfilzten österreichischen Verhältnisse davon ablenken, die Schuld an Tolomeis Entblößung masochistisch bei sich selbst zu suchen.
    Am nächsten Tag wachte sie nach dem lächerlichen Traum auf, den sie gelegentlich träumte. Sie musste dringend aufs Klo – es gab diesen rein physischen Auslöser –, konnte aber keinen geeigneten Ort dafür finden. Sie irrte durch ein riesiges Haus, aber jedes Bad, das sie betrat, war von plaudernden Menschen bevölkert, oder es ließ sich nicht absperren, oder mehrere Kloschüsseln standen frei, ohne Zwischenwände, in einem bedrohlich großen, weiß gefliesten Raum mit vielen Türen. Der Traum lief also auf Pinkeln vor Fremden hinaus, sie fragte sich, was sie daran eigentlich so ängstigte.
    Sie verabredete sich mit ihrem Vater zum Mittagessen und steckte, als sie aufbrach, Tolomeis Brief in die Handtasche, ohne genau zu wissen, warum.
    Von der explosiven Erregung ihres Vaters fühlte sie sich nach langer Zeit wieder beschützt, wenngleich aus rätselhaften Gründen. Irgendwie gelang es ihr, seinen üblichen Vortrag, der normalerweise von »mit nassen Fetzen aus dem Land gejagt« bis »in ganz Wien keinen einzigen Nazi gefunden, aber gekuscht haben sie vor der Uniform, das war direkt widerlich« reichte, zu verhindern, denn er hätte ihr diesmal geklungen wie eine Legitimation. Er kündigte an, sofort Bialik anzurufen oder, viel besser noch, Olpe. Warum Olpe, fragte Nora und erfuhr, dass Olpe ein hohes Tier in irgendeinem Ministerium gewesen sei und immer noch Einfluss besäße. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum sein Neffe Geld kriegt und ich nicht, dachte Nora, behielt das aber für sich.
    Von dem, was in der Folge geschah, erfuhr Nora nichts Genaues, und in ihrer Vorstellung war es manchmal groß und laut wie ein Gewitter, manchmal klein und subtil wie ein Insektenstich. Eines Tages rief jemand aus der Parteizentrale an und fragte sie nach einigen gespreizten Einleitungssätzen, ob sie von Tolomei einen Brief mit einer bestimmten Formulierung bekommen habe. Nora korrigierte bestürzt. Nein, Tolomei habe keineswegs geschrieben, sie als Jüdin solle dankbar sein, wenn sie in diesem Land politisch Einfluss nehmen könne, sondern, »warten Sie«, bat sie, lief, fand den Brief endlich in irgendeiner Handtasche und las die Passage vor. Na, das sei doch sinngemäß dasselbe, sagte der Mann und schien zufrieden: »Er stellt Sie ins jüdische Eck.«
    »Eigentlich geht es mir nur um mein Honorar«, sagte sie, »ich habe in Tolomeis Auftrag mindestens einen Arbeitstag im Fernseharchiv verbracht und …« Dafür sei er leider nicht zuständig, bedauerte der Mann, aber er werde es weitergeben. »Schöne Filme machen Sie«, sagte er noch, »freu mich schon auf den nächsten«, dann legte er auf.
    Als nächstes meldete sich Richard Bialik. Ohne langes Drumherum sagte er: »Ruf deine Truppen zurück, du triffst den Falschen«, aber da schrie sie schon los wie verrückt. Weit und breit sei sie die einzige ohne Truppen, »schau mich an, eine freie Künstlerin mit komischen Filmen«, und nun habe sie einmal etwas verlangt, was heißt verlangt, sie habe nach einem Honorar nur höflich gefragt, und schon sei sie mittendrin in der jüdischen Frage. Oder Ecke. Ob ihm das nicht auffalle? Was er dazu sage? Ob er ihr wieder von Tolomeis Großtaten für die hungernden Kinder in Afrika erzählen wolle? Und warum, zum Teufel, sein
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