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Die Drachen Der Tinkerfarm

Die Drachen Der Tinkerfarm

Titel: Die Drachen Der Tinkerfarm
Autoren: Deborah Beale , Tad Williams
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VORSPIEL
EINE HANDVOLL KNÖCHELCHEN
    C olin drückte vorsichtig die Klinke. Die Tür war wie erwartet fest verschlossen, aber er wollte ohnehin nicht hinein. Er ging auf die Knie und guckte durchs Schlüsselloch.
    Seine Mutter, Gideon und Walkwell hatten eine Unterredung im Besprechungszimmer, wo das alte Buntglasfenster Eva im Garten Eden mit dem Apfel, dem Baum und der Schlange zeigte. Gideon hatte einmal gesagt, dass der Künstler, dessen Werk es war, an allem außer der Schlange wenig Interesse gehabt hatte, und das stimmte: Ihr langer Leib zog sich am oberen Rand entlang, die linke Seite hinunter und unten über die ganze Breite, und verglichen mit Eva und dem Baum leuchtete und funkelte sie wie die Schaufensterauslageeines teuren Juweliergeschäfts. Das Zimmer wurde kaum je benutzt – als Colin das letzte Mal darin gewesen war, hatte ihm der Staub in der Nase gekribbelt. Er wünschte sich sofort, er hätte nicht daran gedacht, denn auf einmal bitzelte seine Nase, als ob ihn der Staub wie eine Wolke einhüllte. Wenn er jetzt nieste … Er wollte gar nicht daran denken. Er durfte sich nicht noch einen Fehler leisten. Man konnte seiner Mutter vieles nachsagen, aber nicht, dass sie leicht verzieh.
    Colin kniff sich die Nase zu und hielt den Atem an, um das Niesen zu unterdrücken. Die Strafen seiner Mutter sollten ihn »lehren, wie man sich anständig benimmt«, so jedenfalls bekam er es von ihr zu hören. Er hatte nie verstanden, was sie damit meinte. Für sein Gefühl lehrten sie ihn nur eines, nämlich wie schrecklich es war, erwischt zu werden.
    Endlich bezwang er den Niesreiz – ein Sieg der Willenskraft. Er ließ seine Nase los und legte das Ohr ans Schlüsselloch.
    »… Ich habe für den Sommer zwei Kinder auf die Farm eingeladen«, sagte Gideon gerade. »Es sind entfernte Verwandte, Nichte und Neffe zweiten oder dritten Grades oder wie so was gerechnet wird. Das ist vielleicht auch für Colin ganz gut, wenn hier mal Kinder sind.«
    »Fremde«, knurrte Walkwell. »Das ist nie gut, Gideon.«
    »Störer.« Colins Mutter sprach es ruhig aus, aber ihre Stimme war härter als gewöhnlich.
    »Keine Störer«, versetzte Gideon mit seiner üblichen raschen Gereiztheit. »Verwandte von mir, wenn’s recht ist.«
    Walkwell, der Verwalter der Farm, sprach leise wie immer in seinem singenden Tonfall, dessen Schwanken zwischen Hoch und Tief Colin so willkürlich vorkam wie die Formen aufwehender Staubwirbel. Er musste sich anstrengen, um die nächsten Worte zu verstehen. »Aber warum diese Fremdenherholen, Gideon, selbst wenn es Verwandte sind? Warum jetzt?«
    »Das ist meine Entscheidung«, sagte Gideon unwirsch. »Wollt ihr euch gegen mich stellen?«
    »Natürlich nicht!« Colin hörte, wie seine Mutter ihren Stuhl zurückschob und das Zimmer durchquerte. Ihre näher kommenden Schritte erschreckten ihn, so dass er beinahe weggerannt wäre, doch sie hielt ein gutes Stück vor der Tür an. Sie war nur aufgestanden, um Gideon die Schultern zu massieren, was sie häufig machte, wenn der Herr der Farm sich über etwas aufregte.
    »Du hast bestimmt lange und gründlich darüber nachgedacht, Gideon, das wissen wir«, beruhigte sie ihn. »Aber wir beide verstehen es eben noch nicht, und dieser Hof liegt uns fast genauso am Herzen wie dir.«
    »Ich weiß bald nicht mehr weiter.« Gideons Stimme klang rauh. »Mir geht das Geld aus. Ich bekomme Briefe … von einem Anwalt. Drohbriefe. Ihr habt keine Ahnung, unter was für einem Druck ich stehe.«
    »Dann erzähle uns davon«, sagte Colins Mutter. »Wir sind mehr als nur deine Angestellten, Gideon. Das weißt du.«
    »Nein, das kann ich nicht. Und hör auf, dich in meine Angelegenheiten einzumischen!«
    Weitere Erklärungen schien Gideon nicht abgeben zu wollen. So lief das meistens mit dem Alten, das kannte Colin schon. Ja, so war er: ein alter Mann mit blöden, egoistischen Geheimnissen.
    Aber seine Geheimnisse beherrschen unser Leben!, dachte der Junge zornig. Das ist nicht allein seine Farm – auch wir leben hier!
    Die große Vordertür des Hauses klapperte und ging auf. Colin sprang vom Schlüsselloch fort, huschte zur Treppe und betete, dass der Eintretende, wer es auch war, ihn nicht imSchatten erspähte. Sein Herz hämmerte so wild, dass er fast meinte, es könnte ihm eine Rippe brechen. Dann hörte er die Stimme leise auf Deutsch singen, und er zitterte nicht mehr ganz so stark. Es war nur Sarah, die Köchin, die irgendetwas durch die Diele in die Küche
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