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Der unsichtbare Feind

Der unsichtbare Feind

Titel: Der unsichtbare Feind
Autoren: Hans Kneifel
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1.
    Wieder erstrahlte das narbige Antlitz des vollen Mondes und schickte sein bleiches, eisiges Licht hinunter auf die geschundene Welt.
    Hart leuchteten die Sterne des halben Firmaments. Zwischen ihnen bewegten sich in großer Höhe undeutliche, rätselhafte Schatten, die riesigen Drachen schienen. Die feurigen Bahnen fallender Himmelssteine zeichneten fahle Spuren in die Nebel und Miasmen der Dunkelzone, die im Süden wie eine riesige Gebirgskette aufragte. Die Nacht schien voller böser Verheißungen zu sein.
    Das Meer lag völlig ruhig da, wie ein schwarzer Spiegel. Das Mondlicht zeichnete auf den winzigen Wellen flackernde Lichter, die wie tödliche Sicheln aussahen. Obwohl kein Nebel herrschte, überzogen sich die Blätter der Pflanzen und alle festen Dinge mit feinem, klebrigem Tau.
    Die Stille, die in dieser Nacht sich überallhin ausbreitete, ließ Furcht in die Herzen der Menschen einsickern. Sie richteten ihre Blicke ratlos hierhin und dorthin, blickten zu den Sternen und dem, riesigen Mond hinauf und verstanden nichts. Schläfer fuhren aus üblen Alpträumen auf. Gegenwart und Erinnerung vermischten sich zu einer undeutlichen, aber tief einschneidenden Furcht vor der Zukunft.
    ALLUMEDDON, das ahnten die Menschen, stand unmittelbar bevor.
    Erschien der Lichtbote?
    Oder kam der Sohn des Kometen, um endgültig, in der furchtbarsten Schlacht, die je auf dieser Welt getobt hatte, die Macht des Bösen zu zerschmettern? Was auch immer geschehen mochte, es würde unvorstellbare Opfer fordern. Stets litten die Menschen und starben, wenn die Mächtigen einander bekämpften.
    Unter den vielen Hunderttausenden, die von der Daseinsfurcht gepackt wurden, gab es einzelne Mächtige, Anführer oder Abenteurer, Kämpfer und Listenreiche, die in den dunklen Stunden des vierten Mondes im letzten Jahr sich ganz besonders Gedanken machten.
    Denn sie waren es gewesen, die bestimmte Dinge in Bewegung gebracht und Kämpfe für ihre Ideen ausgefochten hatten. Im näheren und weiteren Umkreis der Inseln des Quinen-Archipels, im Zaketerland, rund um die Einhorn-Inseln, deren alter Name Syrinam in den bangen Unterhaltungen mehr als einmal auftauchte, an vielen Stellen lagen und standen jene Männer und hingen ihren Gedanken nach.
*
    KUKUAR
    Der Magier, der mit dem Verlust des dritten Auges den Kontakt mit dem HÖCHSTEN verloren hatte, konnte vage die unmittelbare Zukunft erahnen.
    Sie hieß: Kampf, Seeschlacht, Erschöpfung, Wunden und Tod!
    Nachdem die Ayadon, sein großes, schnelles Schiff, den Hafen von Yucazan verlassen hatte, atmeten alle Seefahrer und Kämpfer auf. Kukuar hatte seinen wahren Namen nur wenigen Eingeweihten preisgeben müssen. Die Ayadon segelte mit der Hilfe ihrer Ruderer dem Punkt entgegen, an dem sich Kukuar wieder mit dem Floßverband treffen wollte.
    Die Strömungen des küstennahen Meeres, denen sich das Floß ebenso wie die Ayadon anvertraut hatten, brachten das Schiff schnell und zuverlässig an den Treffpunkt. Ein winziges Riff, kaum höher als die Bordwand, erhob sich aus den Wellen. Schon von weitem sahen die Männer im Ausguck den weißen Gischt, der sich an den Klippen brach. Die verwitterten Reste eines Turms aus wuchtigen Quadern erhoben sich auf dem Seezeichen, in dessen Windschatten Floßvater Giryan mit seiner Besatzung und den Geretteten aus Yucazan wartete.
    Die Ayadon strich die Segel, einige Taue wirbelten hinunter zu dem langen, schweren Floß, dessen einzelne Plattformen sich in den Wellen hoben und senkten, und vorsichtig schoben sich beide Fahrzeuge gegeneinander. Kapitän Ergyse und die Überlebenden der Stolz von Logghard kletterten die Strickleitern herauf, während Kukuar sich zum Floß hinuntergleiten ließ.
    Er schüttelte dem Floßvater die schwere, schwielige Hand und blickte auf Yzinda, die sich an einem Tau festhielt, das zwischen den Decksaufbauten gespannt war.
    Yzinda schüttelte auf seinen fragenden Blick den Kopf.
    »Ich bleibe hier bei den Tacuntern«, sagte sie fest und berührte unabsichtlich ihre Schläfe. Kukuar blickte schärfer hin und machte einige schwankende Schritte auf sie zu.
    »Es war anders abgemacht«, sagte er und erkannte einige frische Tätowierungspunkte. »Aus der Schlange um dein Auge ist ein Einhorn geworden.«
    Wieder schüttelte sie den Kopf. Das erloschene, ausgebrannte dritte Auge war von einem Band verdeckt, wie bei Kukuar auch.
    »Jetzt weiß ich es. Es war nie eine Schlange. Aber in den vielen Jahren, in denen ich nicht wußte, zu wem ich
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