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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden
Autoren: Eva Menasse
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und hatte in einem beängstigenden Ausmaß abgenommen.
    Ein paar Wochen, nachdem Karin ihn unter Flüchen und Drohungen hinausgeschmissen und angekündigt hatte, seinen Umgang mit den Kindern ›in deren Interesse‹ fürs erste so gering wie möglich zu halten, war Fritz mitten in der Nacht aufgewacht, weil Anton, der im Pyjama unerwartet zerknittert aussah, vor ihm stand und ihm das Telefon hinhielt. Sie werde seiner Tochter nicht mehr Herr, hatte Karin geheult, und es liege nicht an ihr, wirklich nicht, sie lasse sich nicht alles anhängen. In einem zweistündigen Gespräch, in dem sie tobsüchtig mehrmals aufgelegt, danach aber gleich wieder angerufen hatte, waren sie schließlich übereingekommen, dass Fritz zu festgelegten Zeiten mit Paula lernen würde. Jedes Mal, wenn er in den folgenden Wochen die alte Wohnung betrat, traf er nur das Mädchen an. Karin legte Wert darauf, ihm nicht zu begegnen, und Paula bemerkte einmal abfällig, sie habe doch längst einen Neuen.
    Fritz kam mit Paula viel besser zurecht als erwartet. Bei ihm war sie brav wie ein Lämmchen, und sie bemühte sich mit dem Lernen. Nur beim Abschied hing sie jedes Mal an seinem Hals wie eine kleine Geliebte, schob ihm ihre Hände wie gierige Tiere in den Hemdkragen und flehte unter Tränen, mit ihm kommen zu dürfen. Und jedes Mal vertröstete er sie mit schlechtem Gewissen auf die Zeit, wo er eine eigene Wohnung haben würde. In seine unordentliche Männer-WG konnte er das Kind wirklich nicht mitnehmen, außerdem traute er Anton nicht, der seit seiner Trennung mit Mädchen ausging, die immer jünger wurden. Aber seine eigene Wohnungssuche betrieb er bestenfalls halbherzig. Denn dieses unverbindliche Junggesellenleben war schon eine süße, ungewohnte Freiheit, das wenigstens gestand er sich ein.
    Gelegentlich, wenn er sich nach der Arbeit mit Hilda traf, hatte sie große Papiertüten mit dem Schriftzug eines teuren Spielwarengeschäftes dabei. Sie schien dauernd Kinder kennenzulernen, und sie beschenkte die Kinder ihrer Arbeitskollegen zu allen Geburtstagen. Sie verwandte auf diese Geschenke viel Zeit und Liebe. Sooft ein neues zur Welt kam, geriet sie ganz aus dem Häuschen. Um als Gratulantin jederzeit gerüstet zu sein, bewahrte sie in einer ihrer Schreibtischschubladen im Büro ein kleines Sortiment Babyschuhe, Schmusetücher und speichelechte Stofftierchen auf. Doch davon wusste Fritz nichts, darüber spotteten bloß die Kolleginnen. Das einzige Mal, als Fritz Hilda abholte, war ihm die riesige Pinnwand hinter dem Schreibtisch, übervoll mit Kinderfotos, zwar aufgefallen, aber er dachte nicht weiter darüber nach, denn er hatte es eilig, wieder hinauszukommen.
    Fritz wich allen Gelegenheiten aus, die seine Beziehung hätten publik machen können. Für die gemeinsamen Abendessen schlug er im Restaurantführer Lokale nach, die abseits seines üblichen Parcours lagen. Er sei einfach noch nicht so weit, hatte er Anton, seinem einzigen Mitwisser, zu erklären versucht, obwohl er sich mit Hilda so wohl wie schon lange nicht fühle. Vielleicht sei er von den achtzehn Jahren mit Karin ja doch irgendwie geschädigt, scherzte er, der sonst für das allgegenwärtige Wohlstandsgerede von Traumatisierung und innerer Bearbeitung nur Spott übrig hatte. Er wolle einfach nichts überstürzen, behauptete er, und außerdem gehe es ihm gegen den Strich, wie Judith und Paula Karins Herrenbekanntschaften kommentierten. Doch als Anton eine seiner gedankenlosen Bemerkungen machte (›Angst vor den Töchtern‹), wurde Fritz richtig wütend, was ihn selbst am meisten überraschte. Es gehe nicht um Angst, zischte er, sondern um Respekt, den Kindern gegenüber und Hilda auch, Respekt, verstehst du, weißt du überhaupt, was das heißt?
    Eines Tages brachte Hilda einen grünen Plüschfrosch. Den habe sie unbekannterweise für das kleine Lottchen gekauft, ja, kaufen müssen, flüsterte sie und zwängte ihm das Spielzeug in die Hand. Fritz betrachtete den Frosch, dessen Vorderbeinchen ängstlich zitterten, und als er aufsah, erschienen ihm die bittenden Augen Hildas und des Frosches auf perverse Weise verwandt. Fritz reagierte ungehalten, unbeherrscht, so, wie er es Karin gegenüber oft hatte tun wollen und niemals tat.
    Wie sie sich das vorstelle, hatte er höhnisch gefragt und Hilda das flauschige Ding in den Schoß geworfen, ob er die Dreijährige ›unbekannterweise‹ von ihr grüßen solle? Oder das Geschenk als sein eigenes ausgeben? Und was sie eigentlich
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