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Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Titel: Götterdämmerung in El Paso (German Edition)
Autoren: Rick DeMarinis
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1
    Man konnte einen Luther Penrose nicht eben mal so »verschlingen«. Warum sollte man auch? Luthers Romane begannen allesamt mit einem Wetterbericht für ein Disneyland der düsteren Art. Mein persönlicher Spitzenreiter: Der vergrauten Unterwäsche von Göttern gleich verhüllten imposante Wolken die karneolfarbenen Hüften der sonst so zauberhaften Berge Calexicos . Alles mit Bedacht gewählt und man musste Wort für Wort lesen, um richtig was davon zu haben. Das aktuelle Werk hatte seine ganz eigene Nuance in Sachen atmosphärischer Schattenseiten des Magic-Kingdom-Vergnügungsparks: Ein wisperndes Gespinst silbrig schimmernden Nebels verschleierte den Schwarzwald und erstickte die neugeborene Sonne in ihrer aufwärtsschwebenden Sternenwiege. Luther zeigte mir stets das Manuskript, an dem er gerade arbeitete. Er wollte meine Meinung hören, aus welchem Grunde auch immer.
    Unsere Freundschaft hatte sich so ergeben, befördert durch Zeit und Raum und durch ein launenhaftes Schicksal. Wir hatten gemeinsam die Schule absolviert, alle zwölf Klassen, und nach ein paar verplemperten Jahren, die geprägt gewesen waren von der Frage, was anfangen mit dem Rest des Lebens, waren wir in die Armee eingetreten, wie zwei Typen auf der Flucht, was wir irgendwie auch gewesen waren — auf der Flucht vor einer langweiligen, stinknormalen Zukunft, die am Horizont dräute.
    Seinerzeit auf der Highschool war Luther gescheiter gewesen, als ihm hätte lieb sein können. Im Unterricht wusste er stets die Antwort und meldete sich in großspuriger Manier viel zu häufig, was ihm die falsche Aufmerksamkeit sicherte. In der Grundschule ein Star, bewundert von Lehrern und Schülern gleichermaßen, brachte er sich auf der Highschool mit seiner Frühreife in Gefahr. Das Spielfeld roch jetzt nach Testosteron. Luther war zwar groß, aber weder stark noch athletisch — also leichte Beute für Rowdys, die Schlauberger mitsamt ihrem Hang zu vorschnellen Antworten auf ihrer Liste hatten.
    Ich wurde — weil es sich wieder so ergab — Luthers Beschützer und als solcher in ein Dutzend Prügeleien verwickelt.
    Wenn ich gewann, triumphierte er. Wenn ich verlor, wurde er paranoid und orientierungslos, als wäre die letzte Bastion zwischen ihm und dem Untergang gefallen.
    Nach Lage der Dinge hatten wir also eine gemeinsame Geschichte und das war schon was. Mir war ziemlich früh klar geworden, dass er sich gedanklich in anderen Bahnen bewegte. Die Armee habe ihn verändert, behauptete er. Natürlich hatte sie das. Sie hatte mich verändert. Sie hatte alle verändert, die dabei gewesen waren.
    Ich hatte fünfzig Seiten des Manuskripts von Der Entfesselte Parsifal gelesen, jede einzelne strotzend vor Gleichnissen und Metaphern, die in etwa so bekömmlich waren wie verschnörkeltes Schmiedeeisen. Luther war ein Schriftsteller, der dick auftrug, und wie die meisten dieser Schriftsteller war er davon überzeugt, dass sein Werk visionär sei. (»Talent«, hatte er einmal gesagt, »besteht in der Gabe, den Nebel aus Ereignissen und Entwicklungen zu durchdringen, um die verborgenen Wahrheiten zu entdecken, die eben diese Ereignisse und Entwicklungen in Gang setzen. Als Vehikel für diese Suche bedarf es einer erhabenen Prosa von gewisser Würde.«) Luther litt nie unter einem Mangel an Selbstgefälligkeit.
    Ich gab ihm die fünfzig mit Eselsohren verunzierten Seiten zurück. »Nicht sonderlich sexy für einen Liebesroman, Luther«, sagte ich, wohl wissend, wie immun er gegen jede Kritik war.
    »Es ist kein Liebesroman, J.P. Es ist ein historischer Bildungsroman, basierend auf wenig bekannten Fakten im Zusammenhang mit den familiären, spirituellen und politischen Erfahrungen des Protagonisten Wagner.«
    »Honus Wagner? The Flying Dutchman? Shortstop der Pittsburgh Pirates und Mitglied der Hall of Fame?«
    »Nein, Klugscheißer. Richard Wagner vom Ring der Nibelungen.«
    »Klingt ungeheuer romantisch«, sagte ich.
    Luther — einsfünfundachtzig groß, Gewicht: hundertfünfzig Kilo — quälte sich aus seinem Lehnsessel. Gretchen, seine fünfzehn Kilo schwere Manx-Katze, sprang mit theatralischem Gejaule von seinem Schoß.
    »Du gibst der Katze zu viel zu fressen«, bemerkte ich.
    »Jetzt bist du also Tierarzt und Literaturkritiker in einem?«
    »Ich weise nur auf Offensichtliches hin«, erwiderte ich.
    »Das ist typisch für dich, J.P. Du meinst, alles sei offensichtlich. Dein Realitätsbegriff ist ziemlich eingeschränkt. Es gibt mehr Dinge im Himmel und
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