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Lady Punk - Roman

Lady Punk - Roman

Titel: Lady Punk - Roman
Autoren: Beltz & Gelberg
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die Nase und bis zur Schläfe hin verteilt, nach unten bis in die Mundwinkel hinein. Ein Clownsgesicht.
    Sie setzte sich auf den Plüschhocker vor der Kommode. Lieschen nahm den gelben Pullover vollständig aus der Plastiktüte, die von der Liege auf die Erde gerutscht war. Sie stellte sich hinter Terry und legte ihr den Pullover um die Schultern. »Wir wollen das alles ganz schnell vergessen«, sagte sie und ging zur Tür. »Ich habe auch nicht alle Kraft auf der Welt«, sagte sie noch. »Weiß Gott nicht.« Dann ging sie hinaus und zog die Tür hinter sich zu.
    Terry sah sich weiterhin im Spiegel an. Dann nahm sie ihren Koffer mit den Kosmetikutensilien und schminkte sich das ganze Gesicht wie ein Clown zu. Schwarzgrundig und weiße Kriegsbemalung. Der Mund eine große Kirsche.
    Sie hatte nun Hunger, obwohl die Idee eines Abendessens aus dem Kühlschrank mit Ölsardinen und Käsescheiben sie nicht gerade befriedigte.
    Lieschen war in ihre Wohnung gegangen. Terry sah sich in der Küche um, entschied sich dann für eine Dose gebackener Bohnen. Sie aß den Inhalt mit dem Löffel, unaufgewärmt und direkt aus der Dose. Sie hatte sich dabei auf den Kühlschrank gesetzt und knallte mit den Beinen regelmäßig gegen dessen Tür.
    Die Mutter und Onkel Bernd fanden sie dort, als sie zum Umkleiden kurz nach Hause kamen.
    »Dir fällt auch immer was Neues ein«, sagte die Mutter.
    Terry sagte kein Wort. Sie fuhr, als die Dose leer war, noch mit dem Finger an das Weißblech, um an die restliche Soße zu kommen.
    Nach dem Umziehen kamen die Mutter und Onkel Bernd noch einmal in die Küche. Die Mutter schluckte eine Tablette. »Was für ein Tag«, sagte sie so in die Luft hinein, und zu Onkel Bernd: »Und das eine sage ich dir, wenn diese Isabel noch mal anruft und dazu noch im Geschäft, dann lege ich einfach auf. Die Sache ist gelaufen, das soll sie endlich verstehen.«
    Onkel Bernd sagte nichts. Er stand am Türrahmen gelehnt und sah Terry an.
    Die Mutter trank ein Glas Mineralwasser aus und schüttelte sich. »Wir gehen jetzt essen«, sagte sie zu Terry. »Brauchst du was?«
    Terry sagte: »Wie schön, dass ihr wenigstens Bescheid sagt, wenn ihr fortgeht.«
    »Willst du dich mit mir streiten?«, fragte die Mutter.
    Terry überlegte, ob sie die leere Dose auf die Mutter werfen sollte. Ob sie so sein sollte wie ihr Vater. Oder ob sie eine ironische Bemerkung machen sollte. Ob sie so sein sollte wie die Mutter. Oder alles überhören und vergessen. Wie Lieschen.
    »Komm«, sagte Onkel Bernd in diese Gedanken hinein und zog die Mutter am Arm. »Sie macht das extra. Schau doch, wie sie aussieht, diese Lady Punk. Sie kann mich nicht leiden. Sie provoziert uns.«
    »Leute, die keine Kinder haben, sollten sich nicht um die Kinder anderer Leute kümmern«, sagte Terry.
    »Keine Angst«, sagte Onkel Bernd. »Um dich werde ich mich nicht kümmern. Um dich nicht.«
    »Du hast was vergessen«, sagte Terry.
    »Ja«, sagte Onkel Bernd. »Ich wollte dir schon immer sagen, dass ich dich nicht leiden kann.«
    Die Mutter sah entsetzt aus. Außer Terry hatte bisher in diesem Haus noch keiner die Wahrheit gesagt.
    Es war gar nicht schlimm für Terry, als sie das hörte. Es war ihr lieber so. Krieg hieß das. Sie sprang vom Kühlschrank, warf die Dose mitsamt dem Löffel ziemlich gezielt in das Spülbecken. »Das meinte ich nicht«, sagte sie. »Ihr habt vergessen, dass Karneval ist. Einunddreißigster August. Karneval im Hause Burger. Ihr müsst euch auch noch verkleiden, so dass man euch erkennt. Ich bin euer Hausclown oder Lady Punk, meinetwegen. Ihr seid J. R. und Alexis Carrington, oder noch schlimmer: Frankenstein und Frankensteins Nichte.«
    Die Mutter drehte sich hastig um. Jetzt zog sie Onkel Bernd am Arm hinaus.
    Terry nahm sich eine Dose Cola aus dem Kühlschrank. Den Verschluss warf sie in einem hohen Bogen in das Spülbecken, wo er auf die Bohnendose fiel und schepperte. Dann ging sie in ihr Zimmer, machte den Recorder laut an und tanzte zur Musik, bis sie ins Schwitzen kam. What’s love got to do with it . Sie wusste, in diesem Haus würde sie keiner stören. Nur Lieschen könnte nebenan sein, sitzen und lauschen.
    Wenn Terry in den Spiegel sah, konnte sie sich nicht leiden. Was sie sah, erinnerte sie zu sehr an sich selbst. Sie wollte sich nicht erinnern, nicht an sich selbst und nicht an die Geschichte, die hinter ihr stand. Terry fühlte einen großen Zwang, sich zu verändern. Sie hatte aber das unbestimmte Gefühl, dass die
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