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Lady Punk - Roman

Lady Punk - Roman

Titel: Lady Punk - Roman
Autoren: Beltz & Gelberg
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I
    Lieschen behauptete, sie selber habe so entschieden, aber Terry wusste, dass das nicht stimmte. Lieschen hatte sich nur gefügt. Sie hatte gar nicht die Kraft, sich durchzusetzen. Entschieden hatte Terrys Mutter.
    Es ging immer nach ihrem Kopf und Lieschen fügte sich um des lieben Friedens willen. Sie nahm es in Kauf, Terrys Wut ausgesetzt zu werden. Aber Lieschen ging kein Risiko ein. Terry konnte mit ihrer Großmutter nicht böse sein. Ihre Wut richtete sich gegen ihre Mutter und, da Terry unbegreiflicherweise nicht an sie herankam, gegen die ganze Welt.
    Manchmal hatte Terry den Wunsch, diese ganze Welt zu zerschlagen, und manchmal, und auch das verstand sie nicht, fühlte sie sich so froh, dass sie dachte, sie würde platzen. Ihr Bauch, ihr Körper, ihr Herz oder was es auch immer war, spannte vor Glück, und sie hatte das Gefühl, dass sie was Großes leisten könnte. Dann konnte sie stundenlang aus dem Fenster sehen, ohne zu denken, oder im Tiergarten auf der Parkbank hocken und sich vom warmen Wind streicheln lassen. Es war, als ob sie ein Stück Ewigkeit wäre. Sie fand sich gut und wichtig und all das.
    Dieser Zustand hielt längstens ein paar Stunden und trat höchstens ein paar Mal im Jahr ein. In der übrigen Zeit, und die dauerte weiß Gott lang, hatte Terry diese Wut. Dann zog sie sich das grellgelbe T-Shirt an und malte sich die Nägel schwarz. Sie lief den ganzen Nachmittag durch die Stadt und hoffte, dass alle Leute sahen, dass sie jetzt ein Kanarienvogel war, und wenn sich jemand nach ihr umdrehte und sie zu auffällig anstarrte, streckte sie die Zunge raus. Gegen Abend ging es dann besser. Wenn sie zurückkam, war sie nur noch ein fünfzehnjähriges Mädchen im gelben T-Shirt und mit einem Riesenhunger nach etwas, von dem sie wusste, dass sie es nie bekommen würde.
    Dieser Sommer war einer der heißesten, an den sich Terry erinnern konnte. Im April hatte es schon einen Vorgeschmack auf die Hitze gegeben. Es war so schwül, wie man es sonst nur im Juli erwartete, und Lieschen behauptete, dass es ein Jahrhundertsommer werden würde. Sie zog schon zu Ostern ein beiges Seidenkostüm an und gehäkelte Baumwollhandschuhe.
    Terry fand, die Großmutter sah aus wie ein Porzellanpüppchen auf einer Spieluhr, wie ein zerbrechliches Spielzeug also, etwas altmodisch und etwas kitschig, aber sehr elegant, und obwohl Terry eine starke Vorliebe für grobe Stoffe und auffallende Farben hatte, sah sie sich selber als Großmutter immer wie Lieschen aussehend, wenn sie es je dahin bringen sollte.
    Anfang Mai gab es richtig kalte Tage, der Tiefpunkt war an Bonifatius erreicht. Nachts hatte es sogar Raureif gegeben, die Autos am Straßenrand waren beschlagen. Auf dem Weg zur Schule sah Terry die Leute mit Eiskratzern an den Autofenstern herummachen. Das alles, fand Lieschen, war in Ordnung und nur ein weiterer Hinweis auf diesen Jahrhundertsommer.
    Der entwickelte sich dann Mitte Mai mit dem blühenden Flieder und all diesen Forsythienbüschen. Es war unvermeidlich, ihm auf Schritt und Tritt in den sonst zu kargen Vorgärten der Nebenstraßen zu begegnen. Am Schluss konnte Terry sie nicht mehr ausstehen. Sie erkor Forsythien zu den von ihr am meisten gehassten Pflanzen und hatte noch Wochen nach dem großen Blütenabfall der Forsythiensträucher ein leichtes Übelkeitsgefühl beim Anblick jeder anderen gelben Blume. Und das, obwohl Gelb neben Lila und Türkis ihre Lieblingsfarbe war.
    Die Mutter war entschlossen, den Sommer nicht in Berlin zu verbringen. Sie hatten die Auswahl. Lieschen besaß noch ein Appartement in einem Wohnblock in Westerland. Aber nach Sylt waren sie schon zu Pfingsten gefahren und die Weihnachtsferien verbrachten sie meistens sowieso dort. Sylt wurde langsam langweilig. Auch eine Kreuzfahrt war nichts Neues mehr. Für Terry waren die Vorbereitungen zu einer Schiffsreise das Fürchterlichste, was man sich denken konnte, weil die Mutter jeden Tag mit neuer Kleidung aufwarten wollte und deshalb die Wochen vor der Abreise mit Einkäufen verbrachte.
    Praktisch kannte Terry die ganze Welt. Sie war von Mal zu Mal kleiner geworden und bot nichts Neues mehr, jedenfalls nichts, wo was los sein könnte. Nur Amerika hatten sie auf ihrer Reise ausgelassen, Nordamerika, die USA. Die Mutter würde sich hüten, ihren Fuß auf Amerika zu setzen, und gerade deswegen wollte Terry dorthin. Aber das war kein Thema.
    Die Mutter hatte sich für ihr Haus in Italien entschlossen, wo sie manchmal Ende Januar oder
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