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Lady Punk - Roman

Lady Punk - Roman

Titel: Lady Punk - Roman
Autoren: Beltz & Gelberg
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Lieschens Geschenk zu reagieren, dass sie »schön« sagte. Sie hatte keine Kraft, auch nur ein Wort mehr rauszubringen.
    »Bist du krank?«, fragte Lieschen.
    Terry schüttelte den Kopf.
    »Was ist los?«, fragte Lieschen. Sie setzte sich auf den Rand der Liege. »Ich glaube doch, dass du krank bist. Soll ich nach einem Arzt telefonieren?«
    »Nein«, sagte Terry. Sie dachte, wenn sie noch mehr sprechen würde, müsste sie weinen. Sie hatte, soweit sie sich erinnerte, ja noch nie geweint, aber sie wusste, dass so was gleich bei ihr losgehen würde, jeden Moment, wenn sie nur eine Silbe mehr sagen würde. Dann sagte sie: »Ich habe Hunger.« Es war das Erste, das ihr einfiel, und dann musste sie doch weinen.
    Lieschen war sehr erschrocken. Sie blieb stocksteif sitzen. In einer dieser Pausen zwischen Terrys heulenden Ausstößen sagte sie: »Hatte ich vergessen, dir Geld zu geben?«
    Terry war inzwischen egal, was Lieschen sagte. Sie hatte sich in ihr Leid hineingeheult. Es trug sie wie eine Matratze, die innen ein klein bisschen nachgab, auf der man aber doch sicher liegen konnte. Lieschen stand auf. »Ich rufe doch einen Arzt«, sagte sie. »Wie gut, dass einer im Hause ist.«
    Terry hörte den Satz. Sie wollte niemand Fremden hier, und Dr. Gutbrod erst recht nicht, auch wenn sie nichts mehr gegen ihn vorbringen konnte. Sie wollte einfach weiterweinen, den ganzen Abend lang, bis zum Ende. Das Weinen schmerzte in der Brust und im Kopf, sie hätte es gar nicht stoppen können. Es war etwas außerhalb ihrer Kontrolle, was sie mit einiger Verwunderung zur Kenntnis nahm. Ganz tief drin in ihr war ein kleiner Punkt, der ruhig war, der ihr sagte, sie solle sich ruhig ausheulen. Es war wie ein kleines, mageres Licht. Und sie schaute das Licht an, das ihr Selbst war, und wurde langsam ruhiger.
    »Nein«, stieß sie schließlich hervor und brachte damit Lieschen, die ziemlich ratlos mitten im Zimmer gestanden hatte, zurück an ihr Bett. »Ich bin nicht krank«, sagte sie.
    »Was ist um Gottes willen los?«, fragte Lieschen.
    Terry überlegte eine lange Zeit, was sie sagen sollte. Es war, als ob sie den Grund vergessen hätte. Sie zog beide Schultern hoch und ließ sie wieder fallen, und dann fiel ihr wieder ein, was los war.
    Die Sache war jetzt ganz anders als vorhin, vor dem Weinen. Die Sache lag wie ein Gegenstand vor ihr, der rechteckig war, länglich und ein bisschen hoch, wie eine kleine Kiste vielleicht, die sie nur öffnen musste. Vor allen Dingen war die Sache zu beschreiben. Von all diesen eigenartigen Schluckaufs begleitet, fing Terry an. »Ich habe von meinem Vater einen Brief bekommen«, sagte sie.
    Lieschen bekam einen gehörigen Schrecken. Terry wusste nicht, was Lieschen jetzt eigentlich auf diese Auskunft hin von der ganzen Situation erwartete. Alles war für sie schon schlimm genug. Die Mutter und Onkel Hugo. Die Mutter und Onkel Bernd. Die Mutter und der Vater.
    Terry sah, wie eine Ader an Lieschens Hals stark und schnell klopfte. Eine Stelle war dort angeschwollen und pochte unaufhörlich. Obwohl Lieschen nichts sagte und sich nicht bewegte, wusste Terry, dass Lieschen aufgeregt war.
    »Es war so«, sagte Terry. »Ich habe mit der ganzen Sache angefangen.«
    Sie legte sich auf den Bauch. Das Reden ging besser, wenn sie Lieschen nicht ansah. Stattdessen betrachtete sie die Tagesdecke, auf der sie lag, den hellen, in England hergestellten, frottierähnlichen Überwurf. Sie redete und redete und besah sich gleichzeitig das schlangenförmige Muster, das sich vom glatten Untergewebe abhob. Mit dem Finger fuhr sie die Linien nach. Die von der Mangel in der Wäscherei platt gedrückten Noppen zupfte sie hoch. Ganz intensiv arbeitete sie an der Decke, und aus ihrem Mund kam heraus, was in ihrem Kopf gewesen war. Und dieses kleine Selbst in ihr, das dünne Lichtlein, beobachtete alles und wunderte sich, dass sie zwei Dinge zur gleichen Zeit tun konnte.
    Lieschen hörte zu. Sie sagte auch nach der ganzen Geschichte gar nichts. Terry hatte das Gefühl, sich noch einmal erklären zu müssen. »Ich meine«, sagte sie, »es ist alles so schlimm, weil es ist, als ob C. W. Burger gestorben ist. Aber den hat es gar nicht gegeben. Da war stattdessen mein Vater und den kann ich gar nicht leiden. Und das beides zusammen finde ich furchtbar. Besonders, dass es diesen Mann auf dem Bild nicht gegeben hat. C. W. Burger, das war für mich immer ein Ziel. Da wollte ich mal hin und ich wollte so sein wie er. Aber er ist nicht so,
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